DRACHEN

 

Drachenliebe

 

von

 

Holger Kuhn

 

 

Einen Magnum 44 Cutter und eine Zigarrenbank dachte Jäger als er seinen angestammten Tabakwarenladen betrat. Die schwarzhaarige Mittvierzigerin hinter der Theke lächelte ihn freundlich an, während sie etwas verpackte, daß er nicht erkennen konnte.

Jäger hatte ihr Alter nur geschätzt, anzusehen war es ihr kaum. Die dunklen Augen blickten interessiert über die Schulter des soeben zahlenden Kunden. Der makellose Körper, um den sie siebenundneunzig Prozent der Zwanzigjährigen beneideten, steckte in einem gelben eng anliegenden Kleid, daß knapp über dem Knie endete. Es brachte ihre weiblichen Rundungen noch mehr zur Geltung und versprach mehr als es verbarg. Ebenso bildete es einen willkommenen Kontrast zu ihrem dunklen Teint. Als Make Up verwendete sie einzig und allein Lip Gloss, das ihre vollen Lippen blutrot schimmern ließ.

Die erotische Ausstrahlung dieser Frau flutete durch das Geschäft und hätte den jungen Mann beinahe erschlagen, als sie sich ihm zu wandte und ihn nach seinem Wunsch fragte. Jäger hätte beinahe unter ihrem Blick begonnen zu stottern. Er fühlte aufkommende Röte auf den Wangen und kämpfte gegen den drohenden roten Kopf, wie ein kleiner Schuljunge der beim ersten Kuss erwischt worden war. Der Mittzwanziger fing sich recht schnell wieder, doch die Röte auf den Wangen blieb. Die Schwarzhaarige hatte seinen Kampf wohl bemerkt und lachte ihn unverhohlen aufmunternd an. Jäger nannte seinen Wunsch und wurde von der Dame in den begehbaren Humidor geführt.

Dort ging sie in die Hocke und angelte eine Zeit lang erfolglos im untersten Fach nach den gewünschten Produkten der Zigarrenindustrie. Nachdem sie eingesehen hatte, das ihren Armen die nötige Länge fehlte, bat sie ihren Kunden ihr behilflich zu sein. Irgendwo in diesem Fach schlummerten die Objekte seiner Begierde, wie sie sich ausdrückte. Dabei kam sie ihm so nah, das ihm der betörende Duft ihrer Haut in die Nase stieg.

Oh, Weib, wenn Du wüßtest wer mein wahres Objekt der Begierde ist, würdest Du mir glatt eine scheuern.  Während er noch den Duft ihres Körpers in sich einsog, nahm sie behutsam seine Hand, lüftete wenige Zentimeter das Kleid und lies seine Finger durch den weichen Flaum ihres Pelzes gleiten. <Das ist das Paradies. Ich hoffe Sie wagen es dorthin zurück zu kehren.> hauchte sie. Ihr heißer Atem strich Scott ums Ohr.

 

*

 

Zwei Minuten vor Ladenschluss betrat er erneut das Geschäft. Diesmal jedoch ohne die Absicht etwas zu kaufen. Bekommen würde Jäger schon etwas, aber mit klingender Münze bezahlen würde er es nicht müssen.

Die Ladeninhaberin kam sofort hinter dem Verkaufstisch hervor, wimmelte einen Kunden, der sich hinter Jäger noch in den Laden zwängen wollte, energisch ab und verschloß den Eingang. Sie führte ihn in ein kleines Zimmer hinter dem Verkaufsraum in dem eine alte Ledercouch und mehrere ebenso alte Ohrensessel standen. Die Luft war von Tabak- und Zigarrenaromen geschwängert. Ein kristallener Aschenbecher thronte auf dem Wohnzimmertisch um den die Sitzgelegenheiten gruppiert waren; das Raucherzimmer.

Die Mittvierzigerin setzte sich auf die Couch und schlug die Beine aufreizend sinnlich übereinander. Sie war sich ihrer Erotik und Ausstrahlung, die sie auf den Mann ausübte wohl bewußt und genoß diesen Augenblick. Wer wußte schon, ob es nicht der Letzte dieser Art war. Die beiden Menschen übten sich noch einen kurzen Moment in Small Talk, bis Scott sich neben ihr auf dem Sofa niederließ und sie behutsam küßte. Ein Schleier „Shalimar“ bahnte sich seinen Weg durch Zeit und Raum und erreichte endlich seine Nase. Die vanilligen Noten betörten seinen Geruchssinn. Der schwere Duft des Parfums benebelte einen Moment lang seine sämtlichen Sinne und ließ unbändiges Verlangen in ihm aufsteigen.

 

*

 

 

Liebeserklärung

 

Du hast schöne Lippen,

die sanft meinen Mund umschließen.

Deine Augen dringen in die Tiefe

meines Herzens.

Harte Hände,

die zart meinen Körper berühren.

Teile, die zu einem Menschen gehören,

den ich unendlich Liebe.

 

Stefanie Hinze

 

 

Frisch geliebt lagen sich die beiden in den Armen, die Kleidung wild auf dem Parkettboden verstreut. Jäger strich sanft durch das dichte rabenschwarze Haar vor seinen Augen. Selten in seinem Leben hatte Sex ihn so befriedigt wie mit dieser erfahrenen Frau. Niemals zuvor hatte sich ihm eine Frau so leidenschaftlich und bedingungslos hingegeben. Es war nur eine schnelle Nummer gewesen, doch dieses Prachtweib an seiner Brust hatte ihm alles abverlangt. Er hoffte auf eine Fortsetzung ihrer Künste, bei der er ihr mit seinem Einfallsreichtum wenigstens einen Teil der geschenkten Leidenschaft und Hingabe zurück geben konnte. Keiner der beiden sprach ein Wort, sondern jeder genoß schweigend die Nähe und Wärme des Augenblicks.

 

*

 

Scott’s Partnerin hob leichtfüßig ihre Klamotten vom Boden auf, auch die seinen. Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn durch den dunklen Rest des Ladens zu einem Aufzug am Ende eines kurzen Ganges. Keine zwei Sekunden nach ihrem Knopfdruck öffnete sich leise zischend die Tür zu einer Kabine, die kaum groß genug für sie beide war. Eng umschlungen standen die Liebenden in dem kleinen Raum und ließen sich, nach einem weiteren Knopfdruck, fast augenblicklich in die Geborgenheit ihrer Privatwohnung katapultieren.

Jägers Hoffnungen sollten sich erfüllen. An die Pflicht im Laden schloß sich fast nahtlos die Kür im Penthouse hoch über den Dächern der hektischen Großstadt an, bei der er der Schönen einen Großteil ihrer Begierde zurückgab.

 

*

 

 

Du

 

Augen zum sehen

Ohren zum hören

Mund zum schmecken

Hände zum fühlen

Beine zum laufen

Kopf zum denken

Lunge zum atmen

Herz zum verschenken

und Du,

um all dem Sinn zu geben.

 

Stefanie Hinze

 

 

<Von wem ist das?> wollte der Student wissen.

<Von mir. Fiel mir gerade so ein.> Zärtlich küßte sie ihn auf den Mund.

Jäger war verblüfft. Solch ergreifende Poesie hatte er noch nie gehört. Und wenn, dann hätte er sie einem der Barden des Mittelalters zu gerechnet, aber nicht einem Vollblutweib dieser Welt und dieses Zeitalters. <Du bist ein Drachenweibchen, nicht war?> schoß er ansatzlos ins Blaue. Scott’s Hobby waren Fantasygeschichten und alles was damit zu tun hatte. Des öfteren schon hatte er sich die Rückkehr der Magie und der damit verbundenen Fauna in diese kalte Ellbogengesellschaft ersehnt. Seit die Anzeichen dafür mehr und mehr zunahmen, wuchs seine Sehnsucht nach einer magischen Welt ins Unermeßliche.

Am meisten faszinierten ihn die Drachen. Diese Geschöpfe voll Anmut, Wissen und Weisheit von Jahrtausenden hatten es ihm ganz besonders angetan. Er hatte mehrere Bücher über diese Wesen gelesen, ja geradezu verschlungen und wußte einiges über diese Tiere und ihre Fähigkeiten. Unter anderem das sie ein Faible für Poesie hegten und pflegten.

<Ja, Liebster.> Langsam wuchs eine hornige Kralle aus ihrem Zeigefinger, mit der sie zärtlich seinen Brustpelz kraulte.

 

Copyright © Januar 2000 Holger Kuhn Dietesheimer Str. 400 63073 Offenbach und

Stefanie Hinze Waldstr.  63071 Offenbach