1384

 

von

 

ANDREAS MAIS und REGINALD LANIRA

 

 

Ranziger Kerzenduft verwehrte dem aufkeimenden Frühling den Zugang durch die winzigen, hohen  Fenster in die mittelalterliche Burgkapelle. Morbide, düstere Stille herrschte hier. Der offene Totenschrein vor dem mächtigen, marmornen Altar, versank in unzähligen Blumen­kränzen. Hierin lag, in ein langes, kostbares Gewand gehüllt, die schlanke Gestalt einer rothaa­rigen Adligen Ende Zwanzig. Die versammelte Dorfgemeinde stimmte in den trauern­den Gesang des Geistlichen ein. Einer der Anwesenden kniete vor dem Sarg, dessen Tränen das Gesangbuch benetzten. Der Gottesdienst neigte sich allmählich dem Ende zu, an dem der junge Mann endgültig von der Liebe seines Lebens Abschied nehmen mußte. Er kniete am Sarg, nahm sein Liebstes ein letztes Mal in die Arme, um ihr seine Liebe zu beweisen, auch wenn sie es nicht mehr wahr­nehmen konnte. Die Tränen die er vergoß zogen feuchte Bahnen über seine Wangen, tropften leise auf die ihren. Die darauffolgende Reaktion bekamen die tränenverschleierten Augen nicht mit, denn es war nur ein kurzes Zucken der Mundwinkel. Jedoch ein klarer Beweis dafür, das noch Leben in dem schlanken, schönen Körper weilte.

 

*

 

Sie konnte jedes gesprochene Wort ihrer Umgebung hören, jede Berührung ihres Geliebten spüren, war jedoch unfähig auch nur die geringste Bewegung auszuführen, um auf das, ihr drohende Schicksal, aufmerksam zu machen. Dieser Umstand flößte ihr eine fürchterliche Angst ein, die sich mit kalter Pranke um ihr Herz krallte und sich gemächlich zur Panik stei­gerte, je länger sie vergeblich versuchte dem Horror zu entrinnen. Angst lähmt die Gedanken, was sollte sie nur tun ?

 

*

 

>Sie lebt! Sie lebt! Kommt alle her und seht. Ich danke Dir O'Herr. Sie lebt!<

Die Worte hallten durch das hohe Kirchenschiff, rissen die Anwesenden aus ihrer Lethargie. Einige der Trauernden erhoben sich zögernd von den unbequemen, kantigen Holzbänken, kamen ängstlich auf den mächtigen Totenschrein zu.

Gemurmel erhob sich über der Gemeinde, hing bleischwer über deren Köpfe. Einige bedeu­tungsschwangere Worte, wie "Hexe", "mit dem Teufel im Bunde" und "Satansschwester", wurden absichtlich etwas lauter ausgesprochen.

Unruhe ergriff die Menge, schrille, keifende Stimmen aus geifernden Mäulern skandierten eine grausame Parole. >Brennen, Brennen soll die Hexe!!!<

Angestachelt von der Meute stapften die Mutigsten feindselig auf den glücklich vor dem Sar­kophag knienden jungen Mann zu, der die Gefahr des vollzogenen Stimmungswandels nicht einmal registrierte.

>Versündigt euch nicht im Hause des Herrn, des Allmächtigen, meine Kinder!<

Der Pfaffe vor dem Altar, versuchte mit gewandten Worten, die Situation zu entschärfen, doch vergebens. Die aufgewiegelte Menge drängte ihn einfach beiseite und ergriff die beiden Liebenden.

 

Copyright © November 1996 Holger Kuhn Dietesheimer Str. 400 63073 Offenbach und Andreas Mais