Außenseiter von Holger
Kuhn Daniel
saß über einem Blatt Papier vertieft in der abendlichen Stille hinter
dem Waisenhaus und ließ seine Gedanken und Sehnsüchte auf das Papier
fließen. Es war das erste Mal das er sich aus der Sicherheit seines
Zimmers getraut hatte und nun im weitläufigen Garten unter einem Baum
saß und seiner Passion nachging. Bisher hatte der Jugendliche sich in
seinem Zimmer unter dem Dach verschanzt, seine Musik auf eine Lautstärke
gedreht, bei der die Betreuer nichts einwenden konnten und sich in seine
Phantasiewelten begeben, die er in vielen Kurzgeschichten und einigen
Novellen bisher festgehalten hatte. Meist brachte er phantastische
Geschichten zu Papier die von einer anderen Welt handelten, in denen er
sich wohlfühlte und unbehelligt von allen Ängsten seines jungen Lebens
leben konnte. Daniel
war mit seinen sechzehn Jahren der älteste Bewohner des Waisenhauses
und damit auch der nächste der die Einrichtung verlassen würde. Davor
hatte er am meisten Schiss und das gestand der Junge sich auch offen
ein. Aber nicht nur dieser Umstand bereitete ihm eine Heidenangst. Da
waren auch noch andere Dinge dort draußen, die er schon viel zu früh
gesehen hatte und denen er niemals wieder begegnen mochte. Daniel fühlte
sich hier wohl, obwohl er von den meisten als Außenseiter gemieden
wurde. Dies
fing schon bei seinem Musikgeschmack an, den die anderen gerne als Krach
abtaten und dabei den Kopf schüttelten. Natürlich kamen die langen
Haare noch dazu, die ihm mittlerweile bis auf den Rücken fielen und ihm
den Ruf eines ”langhaarigen Bombenlegers” eingebracht hatten. Außerdem
verließ er nur selten seine eigenen vier Wände. Und auch nur dann,
wenn es nicht anders ging. Schule und Essen fassen waren zwei der
seltenen Gelegenheiten ihn zu Gesicht zu bekommen. Das machte ihn in den
Augen der anderen Jugendlichen zu einem Eigenbrötler, den sie gerne
aufzogen oder ganz in Ruhe ließen. In Daniels Fall ließen sie ihn
einfach in Ruhe. Früh schon hatte er sich Respekt verschafft und seit
dieser Zeit behelligte ihn niemand mehr mit Zoten oder dummen Sprüchen.
* Karin
war erst vor zwei Wochen in dieses Haus gekommen und schon als Zicke
verschrien. Vielleicht lag es daran, daß sie sich nicht so akzeptieren
konnte, wie sie war. Ihr körperliches Gebrechen konnte sie einfach
nicht als gegeben hinnehmen. Sie beneidete ihre Mitmenschen darum, nicht
in einem Stahlgestell auf Rädern gefangen zu sein. Diese
Unzufriedenheit, dieser Hader mit sich und der Welt, projizierte sie auf
ihre Umwelt. Alle, ob Jungen oder Mädchen, hatten bereits ihr Fett weg
bekommen und dabei hatte Karin auch nicht vor den Betreuern halt
gemacht. Niemand wollte mehr etwas mit ihr zu tun haben und das war dem
Mädchen recht. So konnte sie sich ungestört in ihrem Selbstmitleid
suhlen und sich ihrem Schmerz, ob der Ungerechtigkeit der Welt,
hingeben. Stundenlang saß sie dann allein unter dem alten Baum auf dem
Anwesen und grübelte oder träumte sich in einen gesunden Körper und
ein glückliches Leben. Karin
rollte gerade über den gepflegten Rasen, als sie bemerkte, daß da
jemand ihren Platz besetzt
hatte. Diese Frechheit konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. Wenn sie
diesen Störenfried gewähren ließ, war es aus mit der Ruhe und der
Kerl kam eventuell auch noch wieder. Das ging zu weit. Verärgert fuhr
sie auf den Ruheplatz unter der Eiche zu und baute sich vor dem
Eindringling auf. Es dauerte einige Augenblicke bis der Junge ihre
Anwesenheit bemerkte, aber dann hatte sie seine ungeteilte
Aufmerksamkeit. Karin hatte den Jungen schon das ein oder andere Mal
beim gemeinsamen Abendessen gesehen, aber bisher noch kein einziges Wort
mit ihm gewechselt. Sie wusste weder seinen Namen, noch wer oder was er
war. Ruhig blickte der Junge sie an, sagte aber keinen Ton. Er schien
eher auf einen Anfang Karins zu warten und den sollte er bekommen. Einen
Auftakt, den er so schnell nicht wieder vergaß. <Was
setzt du dich einfach hier an diesen Platz. Du hast hier nichts zu
suchen.> giftete sie den Langhaarigen an. Sein
Blick verdunkelte sich von unverhohlener Neugierde in eine Traurigkeit,
die sie hätte zum Schmelzen bringen können, wäre sie selbst nicht so
verbittert gewesen. <Was
kuckst du mich so dämlich an? Hast du noch nie ein Mädchen im
Rollstuhl gesehen?> Karin starrte den Burschen herausfordernd an. Ihr
Gegenüber fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und strich sich die Strähnen
aus dem Gesicht. Seine braunen Augen musterten das Mädchen bekümmert.
Es sah so aus, als wollte er der Göre eine passende Antwort servieren,
doch nach kurzem überlegen entschied er sich dagegen und schwieg
weiter. Das Mädchen mit den schulterlangen Haaren gefiel ihm auf
anhieb. Allerdings hatte ihr loses Mundwerk, das Meiste seiner
Bewunderung schon wieder zerstört. Karin
wurde langsam richtig wütend. <Kannst du nicht reden, Kerl? Ich habe
dich etwas gefragt. Hat dir etwa das Fett in deinen Haaren die Stimmbänder
verklebt?> So einen sturen Bock hatte sie noch nie erlebt. Daniel
packte wortlos seine Siebensachen zusammen und legte die bereits
beschriebenen Blätter auf den Ordner. Es hatte einfach keinen Zweck
sich außerhalb der eigenen vier Wände von der Muse küssen lassen zu
wollen. Zur ungünstigsten Zeit tauchte immer irgendjemand auf, der
einem dumm anmachte und dies verschreckte selbst die allerhartnäckigste
Muse. Daniel beobachtete weiter das Mädchen und fragte sich, welches
Problem sie wohl mit der Welt hatte, das sie ihn so ohne jeden Grund zur
Sau machte. Erhobenen Hauptes stand er auf und verließ gruß- und
wortlos den Garten. * Eine
Stunde später hing die Sonne tiefrot über dem Horizont. Ihre Farbe
tauchte den Himmel in ein blasses Rosa und ertränkte die wenigen Wolken
in Blut. Daniel
beobachtete fasziniert ihren Weg zum Horizont und das Verschwinden
darüber hinaus
in der Versenkung. Im Hintergrund lief eine seiner Lieblingsscheiben, die
ihm immer wieder von neuem eine Gänsehaut bescherte. Daniel nannte
diese Songs “Schreib-Musik”, da er in den Tönen, Melodien und
Akkorden versinken konnte. Die Bilder und Emotionen die sie ihm
schenkten, konnte er nur zu gut in Worte fassen und daraus Geschichten
voller Wehmut und Hingabe formen. Sobald
die Sonne vollständig verschwunden sein würde, so hatte sich Daniel
vorgenommen, würde an seinen Schreibtisch zurückkehren und die Bilder
in seinem Kopf einfangen und ihnen die Freiheit in Gestalt von Worten
zurückgeben. Seine
Gedankengänge wurden von einem ungewohnten Geräusch jäh
unterbrochen. Beinahe wäre der Laut in den Tiefen der Musik
untergegangen, wenn er sich nicht etwas lauter wiederholt hätte. Jemand
klopfte an die Tür. * Daniel
öffnete die Tür und war überaus erstaunt, daß das Mädchen im
Rollstuhl davor stand. Diese Zimtzicke hatte ihm gerade noch gefehlt.
War ihr der Sieg im Garten nicht genug gewesen? Verfolgte sie ihn etwa
mit ihrem verbalen Gift auch noch in sein Allerheiligstes? <Hallo.
Ich bin Karin.> Das Mädchen wirkte ein wenig verlegen. <Was
willst Du?> Daniel sah ihr geradewegs in die grauen Augen, die sie
nach wenigen Sekunden niederschlug. Welch wunderschöne Augen sie hat,
ging es ihm durch den Kopf. <Ich...ich
möchte mich entschuldigen wegen vorhin im Garten.> <Na
sowas. Wie kommt’s so plötzlich?> <Kann
ich dir das drin erklären?> bat das Mädchen. <Na
dann komm erstmal rein.> Der Junge gab die Tür frei und ließ seine
Besucherin ins Zimmer. <Soso, du willst dich also entschuldigen.> <Ja,
es tut mir Leid. Ich war gereizt und verletzt und wollte allein
sein.> Karin sah fast flehentlich zu dem Langhaarigen hinüber, der
wieder vor dem geöffneten Fenster stand und ihr den Rücken zuwandte.
<Verzeihst du mir?> <Du
bist noch nicht sehr lange hier?> Daniel ging zu der Stereoanlage und
drehte die Lautstärke ein wenig herunter, ohne weiter auf ihre Frage
einzugehen. Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und blickte
das Mädchen darüber hinweg an. <Seit
genau zwei Wochen. Warum fragst du?> <Nur
so. Hat mich interessiert. Ich bekomme manches erst als Letzter oder gar
nicht mit.> <Ich
weiß. Du bist Daniel, der Eigenbrötler und Einzelgänger. Ich habe von
dir gehört. Keiner weiß so recht wer du bist und was du machst. Du
lebst so zurückgezogen wie eine Schnecke in ihrem Haus. Selbst die
Betreuer haben es aufgegeben, dich aus deiner Isolation zu locken. Wie
lange bist du schon hier?> <Mein
ganzes Leben lang.> <Das
tut mir Leid.> Bedrücktes Schweigen breitete sich in dem Zimmer aus,
daß nur von den harten Rhythmen aus dem CD-Player durchbrochen wurde. Nach
einer Weile rollte Karin an den Schreibtisch heran, bis sie mit den
Zehenspitzen dagegen stieß. Aus einer Tasche an der Rückseite des
Rollis kramte sie ein Blatt Papier hervor und reichte es Daniel über
den Tisch. <Du hast das im Garten verloren. Ich nehme an, du vermisst
es schon.> Daniel
nahm das Papier entgegen und faltete es auseinander. Es war die letzte
Seite seiner neuesten Novelle, die er an diesem Abend weiterschreiben
wollte. Der Waisenjunge sah seine Besucherin erstaunt und erfreut
zugleich an. <Vielen Dank. Ich habe den Verlust dieser Seite noch
nicht bemerkt. Aber spätestens jetzt hätte ich es bemerkt, da ich mich
gerade daransetzen wollte, als du kamst.> <Ich
hoffe du bist mir nicht böse, daß ich der Versuchung nicht widerstehen
konnte? Dein Stil gefällt mir sehr gut. Und auch die Thematik. Ich lese
sehr viel und Autoren mit einem angenehmen Schreibstil verschlinge ich
geradezu.> <Hmmm...
das ist eine Premiere. Du bist die Erste, die irgendetwas von mir liest.
Ich schreibe meine Geschichten nur für mich. Es sind Bilder einer Welt,
die ich mir erträume. Einer Welt in der ich hoffe eines Tages zu
leben.> <Dann
ist das Schreiben also dein Zeitvertreib von dem die anderen nichts
wissen!?> Diese Frage klang eher wie eine Feststellung und Daniel ließ
sie unkommentiert, da er bemerkte, daß sich Karin darauf bereits selbst
eine Antwort gegeben hatte. Dem
Mädchen wurde der langhaarige Bombenleger immer sympathischer und dies
verwirrte sie zutiefst. Der letzte Mensch, zu dem sie Vertrauen gefasst
hatte, war ihr Cousin gewesen. Anfangs hatte sie dieses Schwein noch
richtig lieb und schnuffig gefunden. Blauäugig und verliebt wie sie
war, hatte es lange gedauert, bis sie dahintergekommen war, welch ein
Drecksack der Kerl in Wirklichkeit war. Und jetzt ging das Ganze wieder
von Vorne los. Karin war sich nicht sicher, ob sie lieber darüber
lachen oder heulen sollte. Wenn sie ihre Gefühle richtig
interpretierte, war sie gerade dabei sich in diesen haarigen Igel zu
verlieben, der sein Schneckenhaus kaum verließ. Sie beschloss
abzuwarten und diese Bekanntschaft mit der Zeit gedeihen zu lassen.
<Brauchst du vielleicht eine Lektorin?> * Das
Frühjahr war dem Sommer gewichen und dieser hatte Hessen die ersten
richtig heißen Tage mitgebracht. Das Thermometer kletterte auf knackige
31° Celsius und scheuchte die Menschen zunehmend in den Schatten, da es
in der prallen Sonne einfach nicht auszuhalten war. Die Luft klebte schwülheiß
und pappig in den Lungen, daß es fast eine Qual war überhaupt zu
atmen. Im Radio wurden die Hessen immer wieder gewarnt sich nicht zu
lange ungeschützt der Sonne auszusetzen. Da nicht nur Sonnenbrand,
sondern auch Sonnenstich und Hitzschlag drohten. Karin hatte diese
Aufforderungen nur zu gerne berücksichtigt und war den Tag über im
Haus geblieben. Hier hatte sie sich die Zeit mit Daniels neuesten
Geschichten vertrieben. Selbst
gegen Abend wurde es kaum kühler und die Luft erfrischender. Sobald die
Menschen ins Freie traten, waren sie von einer Sekunde auf die Nächste
in Schweiß gebadet. Die einzige Abhilfe schaffte ein erfrischendes Bad
und ein kühler Drink, gepaart mit so wenig Bewegung wie möglich. Der
Zeiger der Uhr war bereits bis auf kurz vor elf vorgerückt, als Daniel
aus seinem Gemach schlich, damit er die jüngeren Waisen, die bereits
schliefen nicht weckte. Leise schritt er zu Karins Zimmer im Parterre
und lugte durch die offene Tür. <Hallo. Noch wach?> <Ja.
Bei der Hitze kann ich nicht schlafen. Du anscheinend auch nicht,
wie?> Karin ließ den Ordner sinken und schaute auf. <Nee.
Lass uns doch noch ein wenig in den Garten setzen? Es ist ein wunderschöne,
sternenklare Sommernacht. Viel zu schade um sie ungenutzt verstreichen
zu lassen.> Daniels Augen blitzten kurz auf, als die Freundin
zustimmend nickte. Der
Heimälteste fühlte sich wohl in Karins Nähe, was ihn mehr als nur ein
wenig verwirrte. Bislang hatte er sich noch zu niemandem hingezogen gefühlt.
Dieses Gefühl der Zugehörigkeit war in seinem bisherigen Leben noch
nicht aufgetaucht, in dem er bisher nur Ablehnung und Feindseligkeit
kennen gelernt hatte. Darum wusste er nicht so recht wie er damit
umgehen sollte, wie er dieses Gefühl einzuordnen hatte. Es war etwas völlig
neues für den Jungen, auf das ihn niemand vorbereitet hatte und womit
er selbst fertig werden musste, ohne Hilfe von außen. * Unter
der riesigen Eiche im Garten herrschte stygische Finsternis. Die
ausladenden Arme des uralten Baumes bedeckten fast vollständig den
Himmel und ließen nur hier und da ein kurzes Blinken der Sterne zu
Boden fallen. Das sternenübersäte Firmament war nur mehr zu erahnen,
deshalb beschlossen die beiden jungen Leute es sich nicht direkt unter
dem Baum gemütlich zu machen. Daniel hob Karin vorsichtig aus ihrem
Rollstuhl und setzte sie behutsam ins weiche Gras. <So
schmeckt der Sommer...> summte er leise vor sich hin und angelte nach
der Flasche Rotwein und den Gläsern in der Gepäcktasche des Gefährts.
Er schenkte zwei Gläser voll und reichte eines davon seiner
Begleiterin. <Nanu?
Gibt es einen Anlass zu feiern? Oder einfach nur so, um die schöne
Nacht zu genießen?> Die Behinderte blickte neugierig den Freund an. <Nun,
beides würde ich sagen. Ich veröffentliche demnächst meine erste
Geschichte. Eines der Literaturmagazine die ich dir zeigte, druckt
„Ameisen“ in ihrer nächsten Ausgabe ab. Außerdem habe ich eine der
anderen Stories an einen Schreibwettbewerb geschickt. Mal sehen was
dabei rauskommt.> <Hey,
das ist ja großartig. Darauf stoßen wir an.> freute sich Karin. Leise
klirrten die Gläser gegeneinander und die beiden Teenager sahen sich
tief in die Augen. Daniel hatte bisher keinerlei Erfahrungen in der
Liebe gesammelt. Irgendetwas war anders mit diesem Mädchen, aber was
dies im Einzelnen war, entzog sich seiner Kenntnis. Er mochte Karin sehr
und anscheinend sie ihn auch, nur wie weit diese gegenseitigen Gefühle
anhielten, konnte er sich nicht erklären. Das es dieses einmalige,
unbeschreibbare Gefühl der Liebe gab, das hatte er schon mitbekommen.
Schließlich lief er nicht blind und taub, sondern mit offenen Augen
durch seine Umwelt. Doch wie sich dieses Gefühl offenbarte, blieb ihm
schleierhaft. Wie es sich zwischen zwei Menschen manifestierte und diese
zusammenbrachte, war ihm noch viel unerklärlicher. Schließlich sah er
es anderen Menschen nicht an, wenn diese verliebt waren. Vielleicht
sollte ich sie jetzt küssen, schoss es von links nach rechts durch
seinen Schädel. Langsam
beugte er seinen Oberkörper zu Karin vor und kam ihrem Gesicht immer näher.
Als er sich ihren zarten Lippen bis auf wenige Zentimeter genähert
hatte, flüsterte sie leise Worte und wandte den Kopf ab. <Nicht,
Daniel. Zerstöre nicht alles in dieser schönen Nacht.> <Zerstören?
Zerstöre ich denn unsere Freundschaft? Mache ich nicht etwas viel schönerem
Platz, wenn unsere Freundschaft um diesen Kuss erweitert wird?> Der
Junge sah verwirrt in ihre dunklen Augen, die im diffusen Licht der
Sterne seltsam glänzten. <Nein,
das ist es nicht. Wie soll ich dir das nur erklären? Wir kennen uns
doch schon viel zu lange. Du bist sooo lieb. Viel zu lieb für uns
Frauen. Du bist ein so herzensguter Mensch, den wir nicht verdient
haben.> <Wie
meinst du das? Viel zu lieb?> Daniel konnte sich diese Antwort nicht
erklären. <Naja,
Männer müssen halt cool sein, verstehst du?> <Was
meinst du mit cool?> <Naja
halt lässig sein. Nicht rechtzeitig zur Verabredung auftauchen und dann
auch noch das Mitbringsel vergessen. Sowas halt.> <Du
meinst ihr wollt respektlos behandelt werden? Das kann ich mir nicht
vorstellen.> Daniel konnte den Ausführungen des Mädchens nicht
folgen. Sie widersprachen seinem Verständnis für die Welt und die
Frauen, das ihn etwas ganz anderes diktierte. Dieses Verständnis hatte
ihn Respekt und Achtung vor dem anderen Geschlecht gelehrt. Und plötzlich
sollte dies alles nicht mehr gelten oder nie gegolten haben? Mit jedem
weiteren Wort seiner Angebeteten bröckelte die Realität weiter ab und
ließ seine Welt weiter zusammenbrechen. <Du
musst ein Schwein sein, um bei den Frauen Erfolg zu haben.> unternahm
Karin einen erneuten Erklärungsversuch. <Schwein
sein? Meinst du mit dem heraushängenden Goldkettchen durch die Gegend
schleichen und den Arm im Sommer aus dem Auto hängen lassen?> Das
die Freundin ihn mit solch oberflächlichen Ansichten überraschte und
sich von geistlosen Zeitgenossen beeindrucken ließ, hatte der
Langhaarige nun nicht gerade erwartet. Schließlich hatte er sie in den
letzten Monaten ganz anders kennen gelernt. Es enttäuschte ihn
zutiefst, das Karin ihm nicht einfach die Wahrheit ins Gesicht sagte,
auch wenn diese noch so sehr schmerzte. Die Wahrheit, das er einfach nicht ihrer
Vorstellung eines Herzallerliebsten entsprach, einfach nicht ihr Typ
war. Eine
ehrliche Antwort war ihm tausendmal lieber als solche Ausflüchte um die
Ohren geschlagen zu bekommen, an denen er noch Monate zu knabbern hatte.
Dies hätte in gewissem Maße von Respekt ihm gegenüber gezeugt, denn
Daniel konnte sich nicht sicher sein, ob diese Ausflüchte nicht doch
einen Funken Wahrheit enthielten. Und dies schmerzte den Jungen noch
viel mehr. War
dies wirklich so, fragte er sich verzweifelt. Wollten Frauen wirklich so
nachlässig behandelt werden? Daniel konnte sich das nicht vorstellen.
Musste er wirklich ein Schwein werden, um die Frau seines Lebens zu
erobern? * Kurz
vor Sonnenaufgang saß Daniel in seinem Zimmer und starrte auf den
dunklen Bildschirm seines PC‘s. Er hatte keine Ahnung wie ihm
geschehen war. Nun wenn das die Liebe war, wollte er dankend darauf
verzichten. Der
Junge hatte mit dem Mädchen noch bis kurz nach Mitternacht auf der
Wiese gesessen und in dieser Zeit Dinge zu hören bekommen, die ihn zurück
in sein Schneckenhaus trieben. Er hatte von Dingen gehört, die er
niemals hätte glauben wollen, hätte jemand anderes sie ihm erzählt. Langsam
trat Daniel an die unterste Schublade seines Kleiderschrankes und zog
diese auf. Er nahm den sich darin befindlichen Strick, den er schon seit
einigen Jahren dort aufbewahrte und begutachtete das Stück Seil. Es war
zu einer Schlaufe geknotet, die sich zusammenziehen ließ. Ganz so wie
ein Henker sein Handwerkszeug knüpfen würde. Die Schlinge in Daniels
Hand hatte ein Fachmann geknüpft und würde sein Gewicht problemlos
aushalten. Der Junge öffnete leise die Tür und schlüpfte hinaus in
die Dunkelheit. Copyright © August 2001 Holger Kuhn Dietesheimer
Str. 400 63073 Offenbach |