Besuch von Holger Kuhn Die Türglocke reißt mich aus meinen Gedanken. Wer kann das an einem trüben Sonntagnachmittag wie diesem sein, der da unangemeldet vor meiner Wohnung steht? Ich erwarte niemanden. Demnach kann es eigentlich nur mein Cousin oder jemand aus der Familie sein, die sich in den vergangenen schweren Monaten vorbildlich um mich kümmerte. Langsam gehe ich zum Eingang und öffne. <Du?> Ich bin wahrhaft erstaunt, als ich
Gewahr werde wer da vor der Tür
steht. <Hallo!?> Unsicherheit schwingt in der
Stimme der Besucherin mit. Unsicherheit und erschrecken als sie mich
genauer betrachtet. Ich habe mich seit unserer letzten Begegnung
ziemlich verändert. <Was willst Du?> Nachdem ich meine Überraschung
überwunden habe, steht meine Abwehr wieder wie eine eins. <Darf ich rein kommen?> Sie hat es sofort
bemerkt. <Muss das sein?> Das Letzte das ich jetzt
gebrauchen kann ist sie. <Tut mir Leid.> Als Henriette sich zum gehen
wendet, brumme ich ein Einverständnis. * <Wie komme ich nach all den Monaten zu der Ehre
deines Besuches?> Ich hatte das Mädchen seit fast zwei Jahren nicht
mehr gesehen. Unsere gemeinsame Zeit war wunderschön gewesen, bis sie
von einem Tag auf den anderen einfach aus meinem Leben verschwand; ohne
das ich wußte warum und wohin. Monatelang hatte ich in dieser Zeit
versucht sie zu finden, um mit ihr zu reden und falls sie irgendwelche
Probleme hatte, zu versuchen ihr zu helfen oder zumindest meine Hilfe
anzubieten. Keine Chance. Ihre Eltern und Bekannten waren schon genervt
von meinen täglichen Erkundigungen nach ihrem verbleiben. Wie naiv von
mir zu glauben, sie würde nur darauf warten, daß ich wie der Märchenprinz
auftauchen würde und alles wäre gut. Sie blieb wie vom Erdboden
verschluckt und ich machte mir die größten Sorgen. Bis ich erfuhr das
sie mich gar nicht sehen wollte. Warum auch immer? Ich weiß bis heute
nicht, ob ihre Verwandten und Bekannten wußten wo sie steckte, noch
warum sie damals verschwand. <Ich wollte sehen wie es dir geht.> Verlegen
spielt die Eva mit einer ihrer langen Locken.. <Nun, wie du siehst, lebe ich noch und den Umständen
entsprechend geht es mir gut.> Es folgen mehrere Minuten unbehaglichen
Schweigens. <Willst du denn gar nicht wissen wo ich war und
warum ich fort ging?> Zum ersten Mal sieht sie mich mit ihren großen
Augen an. <Eigentlich nicht. Aber du wirst es mir
bestimmt gleich erzählen, sonst wärst du nicht hier. Du hast nämlich
irgendwas auf dem Herzen.> Wie gut ich sie doch immer noch kenne. Henriette weicht meinem durchdringenden Blick
standhaft aus. <Weißt du, ... unsere gemeinsame Zeit war sehr schön.
Aber plötzlich fühlte ich mich so...so...> Sie sucht nach den
richtigen Worten.<so vereinnahmt, so eingeengt. Mir wuchs das alles
über den Kopf. Ich wollte nicht deine Frau werden und dann das Leben
einer Hausfrau führen, Kinder werfen und mit vierzig wieder in den
Beruf einsteigen müssen, wenn die Bälger aus dem gröbsten raus sind.
Ich wollte Leben, etwas erleben. Das Leben genießen, reisen, die Welt sehen. Ich hatte
Angst etwas zu versäumen, das Leben und die Liebe zu verpassen. Kannst
du das denn nicht verstehen?> Flehentlich und gleichzeitig
entschuldigend blickt sie mich an. Wieder Schweigen. <Habe ich dich jemals gedrängt oder bedrängt?
Habe ich jemals etwas von Kindern gesagt?... Du konntest nicht einfach
sagen was dich bedrückt, wovor du Angst hast? Nein, du mußtet einfach
abhauen. Mich mit meinen Sorgen und Ängsten allein lassen. Ich habe nach dir gesucht. Das schlimmste war,
nicht zu wissen wie es dir geht. Und dann diese Ungewißheit aus welchem
Grund du mich verlassen hast. Ich habe mich nächtelang schlaflos im
Bett gewälzt und gegrübelt was ich gesagt oder getan haben könnte,
das dich zu diesem Schritt veranlaßt hat.> Und wieder Schweigen und wieder keine Antwort. <Du hast dir genau die richtige Zeit für
deinem Ausstieg ausgesucht. Zu einer Zeit als ich dich am nötigsten
gebraucht hätte. Was glaubst du warum ich heute so aussehe, wie
ich aussehe? Ich trage nicht freiwillig diese Glatze. Weißt du wie man
Krebs bekämpft? Man bekämpft ihn mit einer Chemotherapie. Der Patient
verliert jegliche Körperbehaarung. Du weißt wie stolz ich auf meine Mähne
war. Mein Leben stand monatelang auf des Messers Schneide. Kein Arzt
konnte mir sagen, ob ich den Kampf gewinnen würde oder sterben. Deine
Zuneigung hätte ich gebraucht, mehr als alles andere, aber du warst
nicht da...> Meine Stimme klingt überraschend gefaßt und
beherrscht. <Ich wußte doch nicht ...> <Du weißt so vieles nicht.>, schneide ich ihr
das Wort ab. <An dem Abend an dem wir verabredet waren, wollte ich
dir alles sagen und dich um deine Hilfe und Unterstützung bitten.>
Ich bin bitter wie Galle geworden in all der Zeit. Kein weibliches Wesen
wird je wieder so nah an mich herankommen,
daß es mir Leid zufügen könnte. <Wie kann ich dir helfen?> Ihre Gesten
wirken fahrig und hilflos. Ich lese Beklemmung in ihren Augen. <Geh jetzt
... und komme nie wieder zurück!> Copyright © Januar 2000 Holger Kuhn Dietesheimer Str. 400 63073 Offenbach |