Experimente

 

von

 

Reginald Lanira

 

 

Leicht bekleidet knie ich im Zentrum des Raumes. Mein Körper empfindet eine wohlige Wärme in der lauen Sommernacht. Ein schwarzes Tuch bedeckt meine Augen, das mich um einen meiner Sinne beraubt. Es soll gleichzeitig die Verbliebenen schärfen und meine Phan­tasie beflügeln. Meine Empfindungswelt steht Kopf. Ich fühle mich wunderbar und doch klein und hilflos. Das Experiment dem ich mich hingebe, bringt mich noch um den Verstand. Mein Herz pocht, als würde ein Gong die Luft, den Raum mit Klang erfüllen. Das Blut pul­siert mit der Frequenz eines Quarzkristalles.

Hinter meinem Rücken, ganz nah bei mir, sitzt ein Mann. In seiner Bleibe finde ich mich wieder, doch weiß ich nicht wie ich hierher gelangt bin. Es ist und bleibt mir ein Rätsel. Alles so fremd und doch vertraut. Der Fremde hat mir dieses Experiment vorgeschlagen und ich willigte trotz oder gerade wegen des Unbekannten, des Neuen ein.

Die Lippen nur wenige Millimeter vom Ohr entfernt, flößt mir die tiefe, ruhige Stimme Vertrauen ein. Die sanften Worte wecken Bilder in mir:

Ich stehe auf einer Mauer und sehe in die Tiefe des Nichts. Die Zehen berühren die raue Kante des Felsens. Gemächlich drehe ich mich um und lasse den Abgrund Schritt für Schritt hinter mir. Schon bald stehe ich inmitten einer grünen Wiese, umringt von Blumen und Gräsern. Die Sonne scheint angenehm warm auf meine Nacktheit, der Wind streichelt sanft über meine Haut. Ich fühle mich wohl, ich könnte die ganze Welt umarmen. Mit ausgebreite­ten Armen drehe ich mich um die eigene Achse, immer schneller, immer wilder. Bis ich in die Halme und Gräser, Kräuter und Blumen purzele.

Auf den Knien sitze ich im Gras. Der weiche Untergrund schmiegt sich an mich, als wolle er mich umarmen. Die Muskeln verlieren ihre Härte, die Sehnen meines Körpers entspannen sich. Diese Eindrücke lassen mein Hirn Endorphine, Testosteron und Östrogen in Hülle und Fülle ausschütten. Die Wiese streichelt mich und langsam, ganz behutsam, versinke ich in ihr, bis sie mich fest und sanft zugleich umschließt. Ich kann die Gräser und Halme, Blumen und Blüten auf der nackten Haut spüren. Überall! Ich bin umschlossen von Pflanzen, wie eine Schmetterlingslarve in ihrem Kokon. Durch die Flora dringt die Wärme und das Licht der Sonne und vermengt sich zu einem sinnlichen, luftdurchfluteten Grünton, der mich in einer zweiten Haut gefangen hält.

Die Pflanzen gleichen Fingern die mich liebkosen und streicheln. Sie gleiten über meine Haut, streichen sacht über meinen Rücken. Die Halme massieren meine Schultern, reiben meine Kehle und küssen zart meinen Nacken. Ein Lufthauch zieht sanft durch den Flaum auf meinen Armen, das sich vor Wonne eine Gänsehaut darüber schlängelt. Die gräsernen Finger kosen mich weiter, schubsen mich immer weiter in Richtung Ekstase. Über den Bauch hinweg hinauf zu meinen Brüsten, zart darüber hinweg und lustvoll drum herum. Meine Erregung steigert sich ins Unermeßliche. Händen gleich streicht das Grünzeug über meinen Po, gleitet zwischen die Schenkel, öffnet mein Intimstes und gleitet hinein. Längst habe ich den Kopf in den Nacken gelegt und genieße jede Berührung meines Ichs. Meine Sinne werden von einer Woge der Lust und Sinnlichkeit erfasst, auf deren Krone sie mitgetragen werden.

Der Kokon verändert sich. Langsam und vorsichtig, das ich es kaum bemerke. Er bewegt mich aus der Rückenlage in die Hündchenstellung. Ich habe das Gefühl zu schweben. Die Blumen sind aus mir verschwunden, doch die Feuchtigkeit bleibt. Etwas großes, warmes streicht durch meinen Hintern, macht anstalten die Blumen zu ersetzen. Es ist ein Ast, ein Ast ohne Ecken und Kanten, der mich ausfüllt. Ganz ausfüllt und sich in einem harmonischen, variierenden Rhythmus bewegt. In einem Rhythmus der mich mehr erregt als die tausend Tentakel der Botanik. Er wiegt mich in den erotischen Wahnsinn, dem ich nur in einem heiß explodierenden Höhepunkt entrinnen kann.

Grelle Lichtkaskaden durchfluten die überreizten Gehirnzellen, hinter meinen Augen explo­diert die Sonne. Glühend wabert der Orgasmus zwischen meinen Ohren durch Myriaden von Synapsen. Die Wärme der tiefen Befriedigung geliebt zu werden, geborgen zu sein, durchflu­tet den Bauch. Die Glut der Orgasmuslava setzt meine Sinne und meinen Verstand außer Kraft. Ich bin gefangen in der Hitze meines Körpers.

In den Tiefen meines Herzens keimt so etwas wie Zuneigung und schwelt doch gleichzeitig die Furcht etwas ähnlich Gleichbedeutendes niemals wieder zu empfinden. Die Erfüllung meiner Bedürfnisse, das Verwirklichen meiner geheimsten Wünsche. Das Erleben der best­gehütetsten Sehnsüchte und Träume. All diese Gefühle die das Leben erst lebenswert ma­chen. Dieser Reigen an Impressionen der mich zu einem fühlenden Wesen macht.

Allmählich verebbt das Gleißen des Höhepunktes. Sanft gleite ich von den erregenden Gip­feln in das pulsierende Tal, wo mich starke Arme empfangen, die mit den Händen meine Blöße bedecken. Geschickte Finger stoßen mich immer wieder in die Glut zurück, sobald ich daraus hervortauche. Ich schwelge noch einige Zeit in dieser Nachglut, bis die Geräusche der Nacht durch den Schleier an mein Ohr dringen.

 

 

Copyright © März 1998 Holger Kuhn Dietesheimer Str. 400 63073 Offenbach