Fremde Strände von Holger
Kuhn Leif
Eriksson stand am Bug des Drachenbootes und starrte unermüdlich zum
Horizont. Nach so vielen Tagen der Fahrt und der Gefahr auf dem großen
Wasser, musste doch endlich Land in Sicht kommen. Land, auf dem seine Männer
von den Strapazen der vergangenen Tage und Wochen Erholung fänden, wo
sie sich mit frischem Wasser und Nahrung eindecken konnten. Fester Boden,
der für einige Zeit die schwankenden Planken des Bootes ersetzte.
Grund, auf dem vielleicht Beute zu machen und Ruhm zu ernten war, der
den Männern zu Hause zu mehr Ansehen verhalf. Sie
waren vor Monaten in ihrer Heimat losgezogen mit dem Gedanken an reiche
Beute und urbarem Land, da sie in ihrer Heimat keine Chance mehr sahen,
anders zu Ehre zu gelangen und eine Familie zu gründen. Sie waren alle
zweit- oder drittgeborene Söhne. Nur der Erstgeborene erbte das Land
und den Besitz des Vaters. Die Heimat war längst zu klein für die vielen
Menschen geworden. Die Jungen mussten sich anderswo nach Land umsehen,
um einen eigenen Hausstand und eine Familie gründen zu können. Und nun
waren sie nach langen Monaten der Fahrt bis weit in den Westen des großen
Meeres vorgestoßen in der Hoffnung auf das große Glück. Stunde
um Stunde stand der Anführer der gut drei Dutzend Männer nun schon am
Bug wie versteinert, als könne er das Land herbeistarren. Zu allem Unglück
hatte sich in den vergangenen Stunden auch noch der Wind gelegt. Die Männer
stemmten sich fluchend und Verwünschungen ausstoßend in die Ruder.
Die Stimmung in der Besatzung senkte sich langsam dem Tiefstpunkt zu und
Leif hoffte inbrünstig, daß bald Land in Sicht kam. Ragnar
trat zu seinem Freund und Anführer. <Glaubst du wirklich, daß so
fern der Heimat noch etwas zu finden ist? Die Männer sind der Fahrt überdrüssig.
Laß uns umkehren!> <Wir
können nicht umkehren. Das Trinkwasser ist beinahe aufgebraucht und das
letzte Pökelfleisch haben wir vor vier Tagen gegessen. Wenn wir
umkehren werden wir ganz sicher verdursten. Wir sind zu weit weg vom nächsten
bekannten Festland. Wir können nur hoffen in nächster Zeit eine Insel
zu finden!> Leise
stieß ein Stück Treibholz an die Bordwand der Fafnir. * Einer
nach dem anderen sprangen die Männer in den weichen feinkörnigen Sand.
Das Ufer wurde gesäumt von üppigem Grün, das den Blick tiefer ins
Land verwehrte. Die Norweger wußten weder, ob sie auf einer Insel
gelandet waren, noch ob diese bewohnt war. Die Männer waren nur froh
wieder festen Boden unter ihren Füßen zu spüren. Ihre Kehlen waren
ausgetrocknet und der knurrende Magen ließ sie alle Vorsicht
vergessen. Die
Wikinger stürmten über den Strand als sie in eine Wand von Pfeilen
liefen. Viele von ihnen stürzten in den Sand und blieben reglos
liegen. Der Rest duckte sich hinter die Schilde und zog sich bis zum
Schiff zurück. Ein wahrer Pfeilhagel senkte sich über die Besatzung
und dezimierte sie zunehmend. Immer noch war kein Feind im Zwielicht
des Waldes auszumachen. Es hatte den Anschein als würden die Bäume
selbst gegen die Nordmänner kämpfen. Als wolle sich das Land der
Fremden erwehren, sie zurück auf das feindliche Meer zwingen über
das sie gekommen waren. Die
Norweger schrieen lauthals und verwünschten alles und jeden. So nah war
die Rettung und nun versuchte ein unsichtbarer Feind sie in die Knie zu
zwingen. Wie grausam konnte doch das Schicksal sein, aber an ein
Schicksal glaubte keiner der Männer. Es musste eine Art Prüfung der Götter
sein, sich kurz vor dem Ziel nicht aufzugeben und bis zum Letzten zu kämpfen.
Alle Gefallenen würden von den Walküren nach Walhalla zur Tafel Odins
gebracht, wo sie neben dem höchsten Gott aßen und tranken. <Zurück
ins Boot. Los! Beeilung!> Leifs Befehl kam für alle seine Männer völlig
unerwartet. Eher rechneten sie damit unter Kampfgebrüll in die Wälder
zu stürmen, um dem Gegner so richtig das Fürchten zu lehren. Nicht
umsonst waren sie die überall gefürchteten Nordmänner. * <Gegen
einen unsichtbaren Gegner kann man nicht kämpfen. Es bedeutet den
sicheren Tod. Wir segeln eine Stunde die Küste entlang und versuchen es
dann noch einmal.> Leif stand am Heck des Schiffes und starrte zurück
auf die düsteren Wälder. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen, als
er vor der Landung glaubte von den Blicken unsichtbarer Augenpaare
durchbohrt zu werden. für
Nicole zum
22. Geburtstag, am
30. des Monats August, im Jahre des Herrn Eintausendneunhundertachtundneunzig Copyright © August 1998 Holger Kuhn Dietesheimer Str. 400 63073 Offenbach |