Liebschaften
von Holger
Kuhn Im Jahre
des Herrn 1241 brach allmählich ein diesiger Septembermorgen an.
Rumpelnd und ächzend pflügte ein Ochsengespann durch den morastigen
Waldweg und hinterließ tiefe Spuren darin. Zu beiden Seiten des Weges
hingen die Äste und Zweige des Waldes tief herunter und berührten fast
die Gestalt auf dem Karren mit ihren kalten und feuchten Fingern aus Blättern
und Zweigen. Dunstfetzen krochen über die Lichtung, über die der Wagen
holperte, die die Landschaft in eine entspannte Atmosphäre tauchten.
Die Geräusche des Waldes drangen gedämpft durch den Schleier, als würden
sie von unsichtbaren Händen zurückgehalten. Der Gespannführer hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, um sich so wenigsten ein bißchen vor der klammen Kälte des feuchten Morgens zu schützen. Die Hufe der Ochsen versanken hin und wieder im weichen Untergrund. Mit leisem Schmatzen lösten sie sich wieder daraus und der Mann hatte seine liebe Mühe damit, die Viecher in Bewegung zu halten. Der Mann zählte
schon bald vierzig Lenze und war damit auch nicht mehr der Jüngste, wie
er nun erneut feststellte. Sein Herr, Phillipp Freiherr zu Tann, hatte
ihn vor zwei Tagen fortgeschickt einige Schweine und noch einige andere
Dinge für das bevorstehende Fest zu besorgen. Der Mann hatte alles
bekommen, was sein Herr ihm aufgetragen hatte und war nun auf dem Rückweg
zur Burg des Freiherrn. Zusätzlich brachte der Bedienstete noch eine
Nachricht für des Freiherrn Tochter mit. Diese Nachricht kam vom Sohn
des Grafen von Meiningen. Mit dessen Sippschaft lag die Familie derer zu
Tann schon seit Jahren in einer Fehde, die bereits das ein oder andere
Leben gekostet hatte. Von dieser Mitteilung durfte sein Herr niemals
etwas erfahren. Andernfalls war er des Todes. * Der übernächste
Morgen zog noch ein letztes Mal mit einem der wirklich warmen Sommertage
herauf. Das Summen und Brummen der Insekten verlieh der prachtvollen,
unberührten Wiese ein spätsommerliches Flair, dem sich kaum jemand
entziehen konnte. Die letzten singenden Nachzügler der Zugvogelschar
erfüllten mit ihrem Gezwitscher die warme Luft. Leises Quaken schallte
vom nahen Teich herüber. Zeitweise verirrte sich eine Libelle zwischen
den Halmen der Wiesenkräuter. Sybille,
Tochter des Freiherrn zu Tann und ihre Zofe Anna tummelten sich
ausgelassen im hohen Gras, pflückten Blumen oder lagen darin und sahen
den vorüberziehenden Schönwetterwolken hinterher. Einige Dutzend Meter
abseits, standen ihre Pferde angeleint im Schatten der sich langsam
herbstlich färbenden Bäume. Sybilles
Haar leuchtete in der warmen Mittagssonne wie blankpoliertes Kupfer.
Ihre weiblich-üppige Figur war in elfenbeinfarbene Haut gehüllt, die
von unzähligen Sommersprossen dekoriert wurde. Ein purpurnes
Leinenkleid brachte ihren Busen noch besser zur Geltung. Die langen
Haare bändigte ein ebenfalls rotviolettes Band, daß Sybille um die
Stirn trug. Ihre Zofe
Anna war in ein einfaches weißes Leinenkleid gewandet, das ihre
knabenhafte Figur mehr versteckte denn präsentierte. Ihre braunen Haare
hingen zu einem Zopf geflochten bis hinunter zu ihrem Po. Ihre großen,
dunklen Augen weckten Erinnerungen an ein scheues Reh. Unerwartet
teilten sich die Zweige am Rande der Wiese und ein hochgewachsener Jüngling
trat mit seinem Pferd am Zügel ins gleißende Licht der Sonne. Langsam
führte er es zu den anderen Pferden und band den Wallach ebenfalls an
den Baum. Der Mann
trug über seinem Leinenhemd ein Kettenhemd, das in der Sonne funkelte.
An seiner linken Seite hing ein verziertes Schwert, an seiner rechten
baumelte ein schmuckloser Dolch. Seine Beine steckten in hellbraunen
Hosen, die aus weichem Leder gefertigt worden waren. Die Füße zierten
Stiefel aus glattem Rinderleder. <Seid mir gegrüßt Sybille, meine
Liebe. Wie ich sehe, ist auf Willibald Verlaß.> Die Angesprochene
raffte ein wenig ihr Gewand und lief so geschwind sie es vermochte zu
dem Burschen und flog diesem an den Hals. Sybilles Geliebter schloss sie
fest in die Arme und drehte sich mit ihr, einem Kreisel gleich, mehrmals
um die eigene Achse. Ihre Zofe
Anna schlenderte langsam hinter ihr her und ließ sich gebührend Zeit,
den Ankömmling ebenfalls zu begrüßen. <Seid mir gegrüßt, Herr
Gero von Meiningen.> Anna vollführte gekonnt einen perfekten
Hofknicks und schlug die Augen nieder, wie es sich für eine Zofe
geziemte. <Aber
Fräulein Anna, warum denn so förmlich? Ihr wisst doch weswegen ich
hier bin? So ist eure Untertänigkeit gewiss fehl am Platze.> Der
Sohn des Grafen grinste schelmisch, derweil er den Leib der jungen Frau
interessiert musterte. <Ihr habt ein wenig zu eurem Vorteil zugelegt,
meine Liebe.> Ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Mundwinkel
und ließ die grauen Augen des jungen Mannes für einen Moment
aufblitzen. Dann nahm er die Zofe ebenfalls um die Taille, drückte sie
an sich und küsste sie ungeniert auf den Mund. <Kommt, lasst uns ein
wenig schwimmen.> Gero nahm die Mädchen bei der Hand und lief mit
ihnen zu dem Teich, den der kleine Bach inmitten der Wiese bildete. Die
jungen Leute stiegen aus ihren Kleidern und tasteten sich Schritt für
Schritt in das kalte Wasser. Augenblicklich verstummte das Quaken im
Schilf. Im klaren Wasser stoben die Forellen in allen Richtungen davon. Der Sohn
des Grafen von Meiningen nahm seinen Mut zusammen, tauchte gänzlich in
das eiskalte, kristallene Wasser und schwamm einige Meter unter der
Oberfläche entlang, bevor er prustend wieder an die frische Luft zurückkehrte.
* Splitternackt
lagen die drei in den wärmenden Strahlen des Sonnenlichts. Die Kälte
des Teiches hatte sie schon nach wenigen Minuten wieder hinaus in die
warme Sonne getrieben, wo sie es sich nun auf ihren Kleidern bequem
gemacht hatten. Ein zarter Windhauch strich über die Wiese und ließ
sie enger aneinanderrücken. Der Hüne lag zwischen den beiden Schönheiten
und drückte sie fest an seinen ausgekühlten Körper. Die Wärme der
beiden Leiber drang durch seine Haut und erwärmte sein Herz. Der Duft
der beiden drang in seine Nase und ließ sein Blut in Wallung geraten.
Seine Gedanken begannen in Gefilde abzudriften, die jedermann kannte,
der die Liebe kennen gelernt hatte. Gero von Meiningen fühlte sich wohl
und überglücklich in den Armen zweier so schöner Frauen an seiner
Seite. Eine Grille zirpte in unmittelbarer Nähe. Sybille beugte sich zu
ihm herüber und küsste ihn während ihre Hand seine Männlichkeit
massierte. Stechende
Schmerzen durchzuckten Geros Brust, gleißendes Licht wütete hinter
seinen Augenlidern. Das Blut rauschte in seinen Ohren und eine bleierne
Schwere ergriff seine Glieder. Eine Faust umkrampfte das Herz des
Adeligen und presste alle Lebenskraft heraus, die sprudelnd in den
Abgrund der Ewigkeit rann. Sengende Hitze bemächtigte sich Geros
ausgedrückten Herzens als die endgültige Schwärze sein Leben
verschlang. Der muskulöse Körper erzitterte ein letztes Mal unter der
Eiseskälte des herannahenden Sensenmannes. Der Schnitter schwang rasch
und gnadenlos die Sense. Gero
wiederfuhr ein Tod wie er ihn sich wünschte: schnell und unversehens.
Einen Tod der ihm augenblicklich das Leben raubte und sich nicht erst
wie ein Teufel anschlich, der sich an der Angst seines Opfers weidet. * <Warum
hast du das getan?> schrie Sybille hysterisch und starrte gebannt auf
den Dolch, der aus der Brust ihres Geliebten ragte. <Weil
ich euch hasse.> antwortete Anna kalt und langte nach dem Schwert des
Toten. Unbändiger Hass schwellte in ihren dunklen Augen. Die Zofe zog
das Schwert blank und hielt es ihrer Herrin unter das Kinn. <Und ihr,
edle Herrin, seid ebenfalls des Todes. Vorwärts, ins Schwarze Moor.>
Annas Anrede für die andere Frau trof vor Hohn. <Warum,
Anna? Sag mir warum?> stammelte die Tochter des Freiherrn. Sybilles
Augen waren vor Entsetzen geweitet, Tränen liefen über ihre Wangen,
die auf ihren Busen tropften. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen,
drehte sich um und tat wie ihr geheißen. Anna blieb immer einen Schritt
hinter ihr und ließ die Schwertspitze über Sybilles Rücken wandern.
Dabei ritzte sie immer wieder die bleiche Haut, das Blutstropfen
hervorquollen. Die Zofe wollte keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß
sie es ernst meinte und mit der Waffe umzugehen verstand. Verzweifelt
schluchzend stolperte Sybille über die Wiese weiter zum nahe gelegenen
Hochmoor. Das Mädchen in ihrem Rücken strahlte eine solche Kälte aus,
daß ihr fröstelte und ihre Lippen eine einzige Frage, bestehend aus
nur einem Wort, immer und immer wieder lautlos formten. So ungerecht
konnte das Leben doch nicht sein, ihr das noch so junge Leben gnadenlos
fortzunehmen. Sybille wollte noch nicht sterben. Anna hatte
einen wahrhaft teuflischen Plan gesponnen und sah nun die Chance
gekommen, diesen Plan in die Tat umzusetzen. Lange, zu lange schon, war
sie das Spielzeug in den Liebesspielen und den Intrigen der beiden
Adeligen gewesen. Mehr als einmal war die Dienerin dabei um ihre
Freiheit und ihr Glück betrogen worden. Damit war jetzt endgültig
Schluss. Der angestaute Hass brach sich Bahn und entlud sich nun. Die
Zofe würde ihre Freiheit zum Preis von zwei Menschenleben erkaufen,
auch wenn sie dies eines Tages in die Hölle brächte. Anna plante weit,
sehr weit von diesem Ort der Knechtschaft zu entfliehen. So weit in die
Ferne, daß ihr niemand mehr folgen konnte und dort ein Leben in Würde
und Ehre führen. An einem Ort, den die Häscher des Grafen und des
Freiherrn niemals aufspüren konnten. Dort würde sie ihr Glück finden. Anna trieb
die immer noch nackte Sybille, an verkümmerten Moorkiefern vorbei,
tiefer in die karge Landschaft. Vereinzelte Wacholder-Bäume hielten
ihre verbliebenen beerenähnlichen Zapfen in die hochstehende Spätsommersonne.
Myriaden kleiner Fliegen umtanzten die beiden Frauen. Die Mörderin
kannte einen relativ sicheren Weg durch das Moor, den ihr ihr Vater
einst zeigte, als sie noch klein war und ihn öfter zum Torfstechen
begleitete. Dieser Pfad führte an einem Moorauge vorbei, das sich
inmitten dieser lebensfeindlichen Landschaft gebildet hatte. Als junges
Gör war sie regelmäßig in dem eiskalten, braunen Wasser dieses
Wasserloches geschwommen. Ihr eigentliches Ziel aber, lag nur wenige
Dutzend Meter weiter und war ein alter Torfausstich ihres bereits
verstorbenen Vaters. Mittlerweile hatte sich die Grube wieder mit Wasser
gefüllt und sich darauf Schwingrasen gebildet. Dieses lose Geflecht aus
Wasserpflanzen verlieh, der Grube den trügerischen Schein festen
Bodens. Auf diese schwer erkennbare Falle dirigierte sie nun die
ahnungslose Sybille zu. <Wir
sind da, Sybille zu Tann. In wenigen Minuten folgst du deinem Geliebten
in den Himmel ... oder die Hölle. Das wird allein der Herr entscheiden.
Und jetzt geh weiter!> befahl die Zofe und unterstrich ihre Worte
noch durch den Druck des Schwertes. Sybille blieb nichts anderes übrig,
als einen Schritt nach vorne zu tun, wollte sie nicht erstochen werden.
Ihre Zehen berührten die weichen Wasserpflanzen und noch ehe sie sich
versah, stand Sybille bis zu den Brüsten in der braunen Brühe.
Langsam, Zentimeter um Zentimeter, sank sie tiefer in den weichen Torf.
Die Rothaarige suchte verzweifelt nach Halt und krallte sich in die
Pflanzen am Rande der Grube, um nicht erbärmlich, wie eine Ratte zu
ersaufen. Doch Anna ließ dies nicht zu. Kaum hatte Sybille Halt
gefunden, durchtrennte ihre Zofe diesen letzten Strohhalm mit dem
Schwert. Panik ergriff die Tochter des Freiherrn und sie flehte und
bettelte und versprach Anna jedwede Belohnung die sie sich wünschte,
helfe sie ihr aus diesem nassen Loch wieder heraus. In ihrer Angst
strampelte sie mit Armen und Beinen und beförderte sich damit doch nur
noch schneller in ihr eigenes Grab. Anna
kniete mit haßerfülltem Blick am Rande und sah ungerührt dem
Todeskampf Sybilles zu. Ein letzter flehender Blick bohrte sich in ihre
Augen, bevor die Edelfrau ganz verschwand und nur noch eine Strähne
ihres kupferroten Haares an der Wasseroberfläche schwamm. Als auch
diese versunken war, erhob sie sich und wand sich zum Gehen. Anna
beschloss noch ein letztes Mal im kalten Wasser des Moorauges zu baden,
bevor sie die Gegend endgültig verließ. Das Mädchen hoffte, das Bad würde
einige ihrer wunderschönen Erinnerungen an ihre unbeschwerte Kindheit
wieder aufleben lassen und sah es als eine Art Huldigung an ihren Vater,
den sie über alles geliebt hatte. Vorsichtig
tastete sich Anna an den Rand des Wassers und setzte sich dort nieder.
Ein schmerzhafter Stich an der Seite lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die
Stelle an der Hüfte. Die Zofe erblickte auf der Haut zwei kleine,
unscheinbar aussehende Einstiche, aus denen jeweils ein Blutstropfen
quoll. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie wie sich eine Kreuzotter
durch die kargen Gräser davon schlängelte. Die Schlange hatte ihre
Giftzähne in das weiche Fleisch ihres Opfers geschlagen und überließ
es nun seinem Schicksal. Eiligst
versuchte die Zofe zumindest einen Teil des Schlangengiftes aus ihrem
Blut zu entfernen. Mit einem Schnitt über der Bißwunde wollte sie das
Gift herausschwemmen lassen. Das unhandliche Schwert machte ihr einen
Strich durch die Rechnung. Mit der großen Hiebwaffe konnte sie den
Schnitt nicht exakt auf die Stelle setzen, die ihr Leben hätte retten können.
Das Schlangengift bahnte sich langsam einen Weg durch Annas Blutbahn
hinauf zu ihrem Herzen. Von Minute
zu Minute fühlte sich Anna schwächer. Bald hatte sie kaum noch die
Kraft sich aufrecht zu halten und sank langsam zur Seite. Ihre Sinne
schwanden fast gemächlich, während glühende Stiche, wie von unzähligen
Brandeisen hervorgerufen, sich in ihre Eingeweide bohrten. Anna fühlte
wie das Gift in ihrem Blut bleiern höher kroch und ihr Herz erreichte.
Bewußtlos rutschte die Mörderin in das Moorauge und versank. Copyright
© September 2001 Holger Kuhn Dietesheimer Str. 400 63073 Offenbach |