Positiv von Holger
Kuhn Kalte, weiß getünchte Wände und geschäftige
Menschen in ebensolch weißen Kitteln laufen mir in den langen
Korridoren über den Weg, ohne groß Notiz von mir zu nehmen. Ich bin
nur ein weiterer dieser vielen Besucher. >
Hi Fratz, wie geht es dir? < >
Schon besser, wenn du kommst. < Ein leises Lächeln umspielt ihre
einst vollen Lippen. Liebevoll drücke ich meine Freundin zur Begrüßung,
bleibe auf der Bettkante sitzen. Wie jeden Tag in den letzten Wochen besuche ich
die Frau meines Herzens auf der Station. Die Krankheit hat aus ihr
einen Schatten ihrer selbst gemacht. Die Wangen hohl, die Augen tief in
den Höhlen wartet sie auf das Unvermeidliche, den Weg alles Irdischen. >
Erzähl mir was du heute erlebt hast? < >
Das Übliche. Hier ein wenig Geschrei, da ein bißchen Gejammer. Der
Chef war mal kurz zur Visite. Und mein Bruder hat sich auch mal wieder
dazu aufgerafft, mich zu besuchen. Ein ganz normaler Tag. Und du, wie
war dein Tag? < >
Stressig. Die Zeit verging wieder wie im Flug. Ich wollte noch soviel
erledigen und kam nicht dazu.< Ihre kleine zierliche Hand gleitet zärtlich
in die Meine. > Ich auch! < >
Hast du Angst vorm Sterben? < >
Nein, nicht mehr. Ich bete darum das es schnell geht. Schnell und
schmerzlos. Ursprünglich wollte ich nie den Zeitpunkt wissen oder
darauf warten. Zack, Bumm und vorbei. So wie du auch. Mit fünfzig ganz
unverhofft den Sprung in die Kiste machen. Jetzt lüge ich dich auch
noch an, um den Schein von Tapferkeit aufrecht zu erhalten. Ich habe
schreckliche Angst. Angst dich zu verlieren, Furcht vor dem Unbekannten.
Ich bin überzeugt es geht weiter, aber wo und wie? Fängt wieder
alles von vorne an? Geburt, Kindheit, Jugend, Midlife Crises, Alter,
Tod. Wann schließt sich dieser Kreislauf, schließt er sich jemals?
Werden wir ewig wiedergeboren oder "Sitzen wir zur Rechten Gottes,
des Allmächtigen". < >
Wer weiß? < Zart streiche ich ihr eine kleine, vorwitzige Locke aus
der Stirn. >
Es ist soweit. Ich spüre das Ende nahen. Es tut so weh. Ich will dir
doch noch soviel sagen. Nimm mich in die Arme und halt mich fest. Ich
liebe dich von ganzem Herzen. Du bist der beste Mann den eine Frau sich
wünschen kann. Denke an mich und trauere nicht zu lange.< Die Stimme
versagt, Tränen kullern über ihre eingefallenen Wangen. Ich halte
meine Frau ganz fest, als könnte ich sie so vor Gevatter Tod beschützen.
Selbst dann noch als ihr Körper schlaff wird, ihr kleines Herz aufhört
zu schlagen. >
Ich liebe dich, du liebe meines Lebens! Ich werde immer um dich trauern!
< Copyright
© Oktober 1996 Holger Kuhn Dietesheimer Str. 400 63073 Offenbach
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