Shadowrun

 

Allein in einer anderen Welt

 

von

 

Holger Kuhn

 

 

01. Juni 2056

Der Groß-Frankfurt-Sprawl besteht aus den ehemals eigenständigen Städten Frankfurt, Offenbach, Mainz, Wiesbaden, Hanau Darmstadt, Mannheim und Heidelberg und wuchert weiter in Richtung Gießen. Die Hügel und Kämme des Vordertaunus, sowie die Ebenen des Hochtaunus sind mittlerweile eine undurchdringliche Wildnis geworden, in der sich jede Menge erwachte Wesen tummeln. Einen Ausflug in dieses Gebiet überleben nur zwei von einhundert Besuchern. Bei Nacht ist diese Quote noch schlechter. Die Bewohner des Megaplex meiden diese Gebiet wo sie nur können.

 

Yvonne ist die Tochter zweier Karrieremenschen. Ihr Vater ist Leitender Angestellter im Fujitsu Deutschland Megakon, deren Arcologie über der Metropole thront. Die Mutter begleitet den Posten einer Ministerin für Umweltschutz im Stab des amtierenden Herzogs von Hessen-Nassau.

 

*

 

Bleigraue Wolken hingen am Himmel und luden unablässig ihre Last über dem Metroplex ab. In den letzten Tagen hatte es beträchtlich mehr als die durchschnittlich zwanzig Zentimeter pro Quadratmeter und Stunde geregnet. Die Lichter der schrillen Neonreklamen spiegelten sich kalt in den Pfützen und Seen die sich auf den Gehsteigen und Fahrbahnen gebildet hatten, doch niemand schien davon Notiz zu nehmen.

Betreten schlich Yvonne durch die übervölkerten Straßen und Boulevards des Rhein-Main-Sprawls. Das nasse, kastanienbraune Haar hing ihr in Strähnen ins Gesicht. Sie war kein Kind der Straße, dementsprechend tolpatschig bewegte sie sich in der Menge der wogenden Leiber. Hier und da fing sie sich einen verärgerten Blick eines Passanten ein, dem sie gerade vergeblich versuchte auszuweichen. Nicht immer blieb es nur bei verärgerten Blicken. Ohne die gewohnten Bodyguards im Hintergrund fühlte sich die Siebzehnjährige nicht wohl in ihrer Haut. Unsicher bewegte sie sich durch die Straßen. Mittlerweile zog sie schon neugierige und irgendwie wissende Blicke auf sich. Die Umwelt fühlte und erkannte sofort den Eindringling. Es würde nicht lange dauern und einer der Jäger brächte den ungebetenen Gast zur Strecke.

Am frühen Morgen war sie aus dem gut bewachten Elternhaus geflohen. Sie konnte die andauernden Streitigkeiten ihrer Eltern nicht mehr länger ertragen, zumal sie immer öfter in diese Machtkämpfe mit hinein gezogen wurde. Beide Elternteile versuchten dann sie auf ihre Seite zu ziehen und gegen den Ehepartner auszuspielen. Sie konnte es nicht mehr länger ertragen, also hatte sie beschlossen dem ganzen ein Ende zu bereiten. Ihre Eltern würden schon sehen, was sie davon hatten, wenn das einzige Kind im Großstadtdschungel verschwand.

Mittlerweile bezweifelte das Mädchen aber, ob dies eine so gute Idee gewesen war. Überall um sie herum diese kalten, gleichgültigen Gesichter, die nicht einmal mit der Wimper zuckten, wenn einem der Passanten Gewalt angetan wurde. Wie eine Herde Schafe, denen man Scheuklappen angelegt hatte bewegten sie sich im Strom der Menge, ohne auf das Geschehen links und rechts zu achten. Je weiter der Abend voranschritt, um so mehr nahm der Menschenstrom ab. An die Stelle der Konzernlohnsklaven traten zunehmend die hungrigen Straßenratten und andere zweibeinige Raubtiere.

Ihre Barschaft war nicht die üppigste, dementsprechend streng mußte sie damit haushalten, um wenigstens ein Minimum von einer Woche damit über die Runden zu kommen. Im Moment war das dringendste Problem eine Bleibe für die Nacht zu finden. Im Geiste schwebte ihr eine Zimmer mit fließend Wasser vor, in das sie sich zurück ziehen konnte, um die Welt bis morgen früh daraus auszusperren. Außerdem wollte sie duschen, denn sie fühlte sich dreckig und unbehaglich in ihren Klamotten, die bis auf die Haut durchnäßt waren. Außerdem betete sie inständig darum eine Bude zu finden die sie alleine bewohnte, ohne die sonst üblichen 4 bis 8beinigen Bewohner.

In Gedanken war sie um eine der Ecken gebogen, ohne richtig Gewahr zu werden, daß sie in einer engen, von Abfall übersäten Gasse gelandet war. Als sie endlich bemerkte wo sie sich befand, hatte sie schon einige Dutzend Meter zurückgelegt und es war bereits zu spät.

„Na wen haben wir denn da?“ Hinter einer der ausgebrannten Mülltonnen erhob sich eine dünne drahtige Gestalt. Ein Kabel baumelte aus der verchromten Datenbuchse in der rechten Schläfe herab. Die Stimme schien direkt aus einer verrosteten Gießkanne zu kommen, so erbärmlich knarzte sie.

Scheiße, ein Chiphead. Ihr Herz vergaß einen Schlag zu machen. Yvonne kannte diese Sorte Mensch aus den einschlägigen Trideos, war aber noch keinem leibhaftig begegnet. Hinter ihr grollte eine Stimme tief wie ein Grab eine Antwort. „Frischfleisch!“ Zu Tode erschrocken fuhr der Teenager herum und glotzte einem kahlköpfigen Ork direkt auf die abgebrochenen Hauer. „Sollen wir sie mit nach Hause nehmen?“

 

*

 

Das Mädchen saß eingeschüchtert, die Hände auf den Rücken gefesselt auf einem Stuhl inmitten diverser Soyburger-Tüten. Der Stuhl hatte mit wenigen anderen Möbelstücken sein Zuhause in einem versifften Appartement gefunden, das man eher mit einem heruntergekommenen, miefigen Loch vergleichen konnte, als mit eine Wohnung. Hierher hatten die beiden Kerle aus der Gasse sie nun verschleppt.

Wenn Yvonne sich vorstellte was diese Kreaturen mit ihr vorhaben könnten, schnürte sich ihr die Kehle zu und sie hätte sich am liebsten übergeben. Der Knebel zwischen ihren Zähnen hinderte sie daran. Zu ihrem Spaß saß sie nicht hier, eher zu deren Vergnügen. Sie gab sich keinen großen Illusionen hin. Wenn sie es fertig brachte hier jemals wieder lebend in einem Stück herauszukommen, würde sie auf immer und ewig ihrem Schöpfer für diese Gnade danken und sich einer der vielen Schwesternverbände anschließen.

„Was machen wir mit ihr?“ Sunny grinste seinen Kumpel fragend an.

„Laß uns mal ein paar Gedanken über dieses Hühnchen da machen.“ Der massige Ork ließ sich auf das wurmstichige Sofa fallen und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Sie trägt die neueste Pinkelmode auf Titten und Arsch. Könnte eine Konzerntussi sein.“ Der Glatzenträger grinste anzüglich in ihre Richtung. „Könnte Geld in der Familie bedeuten. Vielleicht können wir sie gegen ein hübsches Sümmchen eintauschen? Und falls ihr Alter knausert, ist sie immer noch gut genug um den Saustall hier auf Vordermann zu bringen und uns einen zu blasen.“ Sein dröhnendes Gelächter verjagte die Ratten aus dem überquellenden Mülleimer. „Durchsuche das Gör. Vielleicht findest du was Interessantes an ihr; außer den Titten.“ Während er abwechselnd sprach und nachdachte kramte er eine Ares Predator aus dem Schulterhalfter und knallte sie vor sich auf den niedrigen Tisch. Als nächstes brachte er eine überdimensionale Zigarre zum Vorschein, die er sich genüßlich zwischen die schiefen Zähne klemmte und anzündete. Sunny durchsuchte noch immer das Mädchen, wobei er vorrangig ihren Busen und die Beine gierig befummelte. Yvonne erkannte erst jetzt, im schummrigen Licht der verdreckten Deckenlampe, die goldfarbenen Cyberaugen des Orks, die kalt glommen. Wahrscheinlich trägt er auch eine Smartgun-Verbindung. Das Mädchen kannte sich nicht sonderlich mit der neuesten Cyberware aus, aber diese Tech kannte sie von ihren bezahlten Beschützern her.

„Hast du was gefunden?“ wollte der Glatzenträger wissen. Als Antwort hielt der Langhaarige ein Damenhandtäschchen und einen beglaubigten Kredstab in die Höhe, die er dem Metamenschen zuwarf. Dann unterzog er ihre Körperöffnungen einer eingehenderen Untersuchung, deren Ausmaße Yvonne überhaupt nicht gefielen. Der Ork paffte einige blaugraue Wolken in die Luft und begann die Sachen zu untersuchen. Die Brieftasche enthielt außer einer Chipkarte mit gespeicherter SIN, nichts was für die Beiden noch von Interesse gewesen wäre, deshalb flog sie in hohem Bogen in Richtung der Ratten davon. Dann stopfte er den Stab in ein Lesegerät und pfiff anerkennend als er den gespeicherten Betrag ablas. „Nicht schlecht, Mädchen. Warst wohl auf dem Weg zum Shopping“, höhnte er. „Bei deinem Daddy scheint mir noch wesentlich mehr zu holen zu sein. Chummer, mach sie nicht vorzeitig kaputt! Dein Papi wird ganz schön bluten müssen, wenn er dich am Stück zurück haben will.“ Die Augen des Mädchens weiteten sich noch mehr, als sie es schon waren.

 

*

 

Die Siebzehnjährige wischte sich den Schweiß aus den Augen. Ihr hübsches Gesicht war Dreck verschmiert und von den letzten Tagen gezeichnet, denn Wasser war ein genauso großer Luxus in diesem Rattenloch, wie etwas Anständiges zu beißen. Notgedrungen mußte sie sich von unglaublich miesem Soykaf und pappigen Soyburgern ernähren. Allmählich schwand die Hoffnung ihr Vater würde sie freikaufen. Sie hatte damit gerechnet zwei oder drei Tage die ‚Gastfreundschaft‘ dieser Hyänen in Anspruch nehmen zu dürfen. Aber mittlerweile glaubte sie den Rest ihres Lebens hier angekettet verbringen zu dürfen. Noch hatten Sunny und der Ork, der anscheinend keinen Namen besaß, sie noch nicht angerührt, aber mit jedem weiteren Tag an dem sich ihre Eltern nicht meldeten, wurden die beiden ungeduldiger und es würde sicher nicht mehr lange dauern, da würden sie über sie herfallen.

 

Während ihres unfreiwilligen Aufenthaltes hatte das Mädchen die Unterkunft auf Vordermann gebracht. Der Abfall war geleert, die über den Fußboden verstreuten Essenreste verschwunden. Die anderen mehrbeinigen Mitbewohner hatte sie unter Hinzunahme ihrer Überredungskünste und eines Schrubbers hinaus komplimentiert. Besonders Stolz war sie darauf den ekligen Gestank aus der Wohnung entfernt zu haben, der sich mit imaginären Krallen und Klauen im Mauerwerk festgeklammert hatte. Fast fühlte sie sich wohl in dieser Umgebung. An eine Flucht war nicht zu denken. Jedesmal wenn die beiden Bewohner der inzwischen sauberen Bruchbude sie allein ließen, montierten sie vorher das Telekom ab. Da die einzige Tür mehr als nur massiv aussah, dieses Loch keine Fenster besaß und höchst wahrscheinlich noch unter der Erde lag, bestand keine Möglichkeit sich irgendwie anderweitig bemerkbar zu machen.

 

*

 

Die Tür flog krachend auf und der Ork stampfte wütend in die Unterkunft, in seinem Schlepptau das Rattengesicht. Yvonne wußte sofort, daß eines ihrer Geschäfte schiefgelaufen war. Wahrscheinlich war einer der Deals geplatzt, der die beiden womöglich noch eine Stange Geld gekostet hatte. Im Vorbeigehen packte der zwei Meter zwanzig Kerl das Normmädchen am Arm und zerrte sie mit sich zur Couch. Unter einem Schwall von Schimpfworten riß er ihr mit einer Pranke die Kleider vom Leib und vergewaltigte sie anschließend brutal. Als er sein Werk beendet hatte, knöpfte er seine Hose wieder zu und überließ das schluchzende Bündel seinem wortkargen Schatten. <Du darfst. Gib’s ihr tüchtig! Und wenn du fertig bist, entsorgen wir was noch übrig ist. Zwei hungrige Mäuler sind schon schwer genug zu stopfen.> Grimmig wandte er sich ab. Beim rausgehen hörte er das Klacken eines Springmessers.

 

Yvonne wußte das ihre letzte Stunde angebrochen war. Sie kannte mittlerweile Sunny‘s sexuelle Neigung nur zu genau. Beim Aufräumen waren ihr einige BTL-Chips in die Hände gefallen. Die Titel darauf hatten keinen Zweifel aufkommen lassen, wovon diese SimSins handelten. Sie drehten sich ausnahmslos um die perversen Phantasien eines kranken Geistes. Und was das schlimmste war: sie war nun einem Süchtigen diesen Mülls hilflos ausgeliefert. Wie gern hätte sie geschrien, aber irgend etwas lähmte sie. Angst und Resignation rammten sich mit der Wucht eines Dampfhammers in ihre Eingeweide. Schutzsuchend griff sie nach einer herumliegenden Decke und versuchte vergeblich sich darunter zu verbergen. Der Chiphead kam freudig erregt immer näher.

 

*

 

Frisch vergossenes Blut bildete kleine Seen auf dem frisch gewischten Boden und tränkte den ehedem schon fleckigen Teppich in dunklem Rot. Haut und Fleischstücke lagen auf dem blutverschmierten Tisch. Jemand hatte das Gewebe dilettantisch zu einem magischen Symbol angeordnet. In den Pfützen des roten Lebenssaftes waren weitere, mit den Fingern hinein gemalte, Zeichen abgebildet.

Der Raum hatte den Charme eines Schlachthauses angenommen. Der Geruch von Schweiß und Blut klebte förmlich an den Luftmolekülen. Yvonnes einstmals hübsches Gesicht hatte sich in der letzten halben Stunde in einen blutigen Klumpen Gewebe verwandelt. Eines ihrer Augen schwamm in einer mit Wasser gefüllten Schüssel und starrte leblos gen Zimmerdecke. Ebenso Blut durchtränkt wie die restliche Kleidung des Mädchens, lag die Decke neben der Couch; daneben ein achtlos hingeworfener Finger. Lange Nadeln steckten in ihren aufgerichteten Knospen. Yvonnes Körper oder das was davon übrig geblieben war, zuckte schwach als ihr Peiniger seine sexuellen Phantasien an ihr auslebte. Er vögelte sie von hinten, derweil er langsam erst das Heft und später die Schneide seines Messers in ihrem Arsch verschwinden ließ.  Wahnsinnig vor Schmerz und Pein schrie der Teenager seine Qualen hinaus. <Ich wußte, daß du das magst.> keuchte Sunny über ihr. Warmes Blut rann über seinen Schwanz und machte ihn noch geiler.

 

Der Predator zuckte unter dem wuchtigen Rückschlag. Unter der Wucht des Projektils zerplatzte der Schädel in winzige Splitter und verspritzte seinen Inhalt gegen die Wand. Kleine Bröckchen des grauen Gewebes blieben daran hängen und begannen nach kurzer Zeit, daran herunter zu rinnen. <Verdammtes Arschloch!> Der Ork hielt die, noch qualmende Ares in der Faust. Sunny‘s gebrochene Augen hatten sich nicht einmal geweitet, als er tot über dem noch zuckenden Körper zusammensackte.

Durch den Nebelschleier aus Schmerz und Qual bekam das Mädchen die letzten Worte ihres kurzen Lebens wie durch Watte gefiltert mit. <Tut mir echt leid um dich. Hätte dich gerne öfter gepoppt.>

Das ohrenbetäubende Dröhnen der Waffe bekam das geschundene Wesen schon nicht mehr mit.

 

 

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