Tales From The Underground

 

Höhlen

 

von

 

Reginald Lanira

 

 

Die Sonne strahlt ungetrübt vom tiefblauen, sommerlichen Nachmittagshimmel über dem in tiefem grün gekleideten Rothaargebirge. Die schwache, angenehme Brise zwischen den Bäumen läßt die Blätter sanft im Wind wiegen und sie hier und da auch rascheln. Hin und wieder flitzt ein aufgescheuchtes Eichhörnchen über den schattigen Waldweg, daß sich am nächsten Baum korkenzieherartig in die Sicherheit der Krone schraubt.

Die Wanderung der drei jungen Männer geht nun schon in die sechste Stunde und den paarundzwanzigsten Kilometer. Am morgen waren sie nach einem ausgiebigen Frühstück losmarschiert und um die späte Mittagszeit eingekehrt, um eine ordentliche warme Mahlzeit zu sich zu nehmen. Nun befinden sie sich auf dem letzten Stück ihres Weges.

 

Stefan Knierplitz, der größte und gleichzeitig schlaksigste, wird schon seit geraumer Zeit von seiner Blase darauf aufmerksam gemacht, das es mal wieder an der Zeit wäre sie zu entleeren. Deshalb verschwindet der Bursche kurzerhand in einem nahegelegenen Gebüsch, das seine Gestalt vollständig verschluckt. Die Zurückgebliebenen hören wie er sich geräuschvoll durch das dichte Unterholz arbeitet, auf der Suche nach einer freien und doch vor Blicken gut geschützten Stelle, einige dutzend Meter abseits des Weges. Diese Mindestentfernung diktiert ihm sein übersensibles Schamgefühl.

 

Der Schlaks schließt mit einem Ruck und leisem Ratsch den Reißverschluß, kommt erleichtert lächelnd hinter seinem Baum hervor, als er völlig unerwartet beim nächsten Schritt den Boden unter den Füßen verliert und sich nach einigen Sekunden in einem Haufen trockenen, moosdurchsetzten Laubes wiederfindet. Annähernd vier Meter über ihm endet das kreisrunde, dunkle, etwa einen Meter durchmessende Erdloch im moosigen Waldboden.

 

*

 

Seit Stefans verschwinden sind gut fünf Minuten ins Land gegangen und seine Gefährten werden langsam aber sicher ungeduldig. <Wo der alte Trödler nur wieder bleibt. Solange kann doch einmal austreten nicht dauern.> Bernd Hübner sucht sich einen größeren Stein am Wegesrand und versucht es sich so gut wie irgendmöglich darauf bequem zu machen.

<Vielleicht ist sein Geschäft größer ausgefallen als angenommen. Geben wir ihm noch fünf Minuten.> Nach diesen Worten schlägt sich der dritte im Bunde, Hainz Kwietkowski, ebenfalls in die Büsche.

 

Gut zehn Minuten nach dem Abbiegen ihres Freundes wandelt sich die Ungeduld in Sorge. Sie brechen sich wild entschlossen den Kumpel zu finden, Bahn durch das dicht wuchernde Gebüsch, auf die Stelle zu, von der sie annehmen sein letztes Geräusch vernommen zu haben. Stefan scheint vom Erdboden verschluckt worden zu sein.

 

*

 

Zu Stefans erstaunen wühlt er sich unverletzt, über und über von Blättern bedeckt, aus seinem natürlichen Landeplatz. Es vergehen einige Augenblicke bis sich seine Augen an die herrschenden Lichtverhältnisse gewöhnt haben, dann jedoch kann er erkennen wohin es ihn verschlagen hat. Er war durch einen mit Gras und allerlei Wildkräuter bewachsenen, morschen Holzdeckel gebrochen, der die Fallgrube wohl vor allzu neugierigen Blicken schützen sollte. Die geborstenen Überreste liegen nun zu seinen Füßen zerstreut im Laub. Der Mittzwanziger steht in einem künstlich angelegten Erdloch von recht beachtlichen Ausmaßen. Es besitzt eine, sich nach oben verjüngende Kegelform, mit einem ungefähren Bodendurchmesser von gut und gerne zwei Meter fünfzig. Annähernd vier Meter über seinem Haupt fällt das Tageslicht durch den kreisrunden, schätzungsweise einen Meter messenden Ein- bzw. Ausgang. Die Wand ist nur unzureichend von den gröbsten Unebenheiten befreit worden, ansonsten ist sie gleichmäßig schroff, die Wurzeln der nahestehenden Bäume und Büsche hängen aus dem dunklen, erdig duftenden Waldboden.

 

Wie lange wird es wohl dauern bis seine Freunde ihn finden? Und dann? Wie sollen sie eine vertikale Distanz von gut und gerne vier Metern überwinden? Werden sie ihn überhaupt finden? Und wenn nicht? Wieviele Stunden würde er aushalten ohne durchzudrehen? Fragen überschlagen sich und purzeln hilflos durch sein überstrapaziertes Gehirn.

 

*

 

<He Stefan, was machst du denn da unten? Komm doch da raus.> Knierplitz ist heilfroh Hainz‘ Stimme zu hören.

<Hast du deine Brille auf oder machst du wieder einen auf Hörspiel? Hat einer von euch Chaoten eine Taschenlampe?>

<Ich habe die Brille auf der Nase, sehen kann ich dich aber trotzdem nicht. Warte, ich mache mal Licht.> Der Herr Kwietkowski friemelt eine MiniMaglite aus einer seiner unzähligen Hosentaschen und hält den Lichtstrahl am ausgestreckten Arm in die Erdhöhle. Dabei streifen die Wellenteilchen eine in die Wand eingelassene Holzleiter. <Warum stehst du eigentlich noch da unten?>

<Fischkopp. Wir können ja mal tauschen.> Aus den Augenwinkeln heraus nimmt er ein ungewöhnliches Schattenspiel war und läßt sich daraufhin die Taschenlampe fallend zukommen. Im warmen Schein des beleuchtungsspendenden Wolframfadens tut sich ein muffig riechender Gang auf.

Stefan verschlägt es fast die Sprache. Von der niedrigen Decke hängen bis zu fünfzig Zentimeter lange Wurzeln, der Gang ist nicht abgestützt und am Boden wimmelt es vor tausenderlei Geviehchs. Neben Kellerasseln blinden sich Maulwürfe durch die Gegend, Spitzmäuse tun sich an Tausendfüsslern gütlich, Regenwürmer winden sich an Schnecken vorbei und Spinnen liefern sich Wettrennen mit Schaben.

 

*

 

Die drei Freunde krabbeln nach schier endlos anmutenden siebzig Metern dreckverschmiert aber glücklich aus dem verwinkelten, etwa einen Meter auf einen Meter zwanzig messenden Tunnel und treten auf eine von etwa mannshohen Büschen bewachsene Anhöhe hinaus, auf der sie von einem atemberaubenden Panorama erschlagen werden.

Hinter dem dichten Pflanzenbewuchs entfaltet sich eine riesige Grotte, in deren Mitte sich ein kleines Dorf in eine Bodenmulde schmiegt. Schwache Rauchfahnen steigen fast senkrecht zur Höhlendecke empor. Der Höhlenboden steigt sanft zu den schroffen, gewölbten Wänden hin an, mit einigen Hügelrücken und talähnlichen Einschnitten in der Ferne, die dicht mit unterschiedlichen Baumarten, Nadel- neben Laubbäumen, bewachsen sind. Der Felsendom erstreckt sich über mehrere Kilometer in die dunstige Ferne, die im dunstigen Zwielicht nur mehr zu erahnen ist.

Es herrscht ein diffuses Licht, als wäre der Planet Erde in der Dämmerung eines wolkigen morgens hängengeblieben. Das Sonnenlicht wird durch das klare, kalte Wasser eines Kratersees mit kristallinem Boden gefiltert. Den Himmel bildet das lichtdurchlässige Kristallquarz des Sees. Die Höhle muß vulkanischen Ursprunges sein, eine ehemalige Magmakammer, die vor Jahrtausenden erkaltet war. Die wegen der hohen Feuchtigkeit dunstige Atemluft duftet frisch und klamm nach der herbstlichen Waldluft des darüberliegenden Gebirges.

Aus einem der weit entfernten Felsmassive ergießt sich mit leisem Rauschen ein mächtiger Wasserfall in einen träge dahinströmenden Fluß, der mehrere hundert Meter hinter dem Dorf in einen, in vereinzelten Sonnenstrahlen glitzernden, idyllischen See mündet. Ein feiner Wolkenschleier schwebt tief über den zu Tal stürzenden Wassermassen, verbindet sich nahtlos mit dem restlichen Dunst.

 

Die Freunde staunen nicht schlecht über dieses unerwartete, grandiose Naturschauspiel. Sie beschließen etwa eine Stunde das Terrain zu sondieren und dann in ihre Welt zurück zu kehren, wobei sie sich einig sind, das Dorf unter allen Umständen zu meiden.

 

*

 

Durch die Büsche windet sich ein schmaler Pfad, den die drei mehr zufällig entdecken und sich auf ihm daran machen tiefer in die Höhle hinabzusteigen. Sie bewegen sich leise und vorsichtig durch das urwüchsige Terrain, um die unbekannte Fauna nicht zu sehr aufzuschrecken und die Bewohner aufmerksam zu machen. Nach einiger Zeit pausieren die Wanderer an einem kleinen Bachlauf von dessen Wasser sie sich erfrischen und beschließen dem Lauf zu folgen.

Wenige Meter später vernimmt Bernd, über dem sachten Gurgeln des Wassers, einen leisen melodiösen Gesang, der ihn aufhorchen und seine Kameraden zur Vorsicht ermahnen läßt. Dennoch wären sie beinahe einer Gruppe diskutierender, hochgewachsener Frauen undefinierbaren Alters in die Arme gelaufen, die einen guten dutzend Meter hinter einer unübersichtlichen Stelle des Baches ihre Wäsche waschen. Die Frauen tragen ausnahmslos einfache Kleider, die ihre Weiblichkeit noch besser zur Geltung bringen. An einem handbreiten, ledernen Gürtel baumelt ein gerader Dolch von ihren Hüften. Die Füße stecken, trotz der frischen Temperaturen unbestrumpft, in halbhohen Lederschuhen. Drei der sieben haben sich die vollen, über die Schultern fallenden Haare im Nacken zum Zopf zusammengebunden.

 

Unvermittelt löst sich eine der Frauen aus der Gruppe und kommt geradewegs auf das Versteck der drei  zu, bleibt wenige Meter davor stehen und spricht in einer völlig unbekannten, melodischen Sprache in ihre Richtung. Als sie nach fast einer Minute keine Antwort erhält, versucht sie auf eine andere Art und Weise nocheinmal sich verständlich zu machen.

 

*

 

Die Bewohner führen die jungen Leute nach ihrer Ankunft in das größte der massiven Holzhäuser, das aus nur einem saalartigen Raum besteht. Dort wird jedem ein Platz an der großen Tafel zugewiesen, deren Plätze schon fast alle besetzt sind. Stark rußende Kerzen aus ranzigem Tierfett erhellen die Runde mit ihrem warmen Schein. Bernd zählt zu beiden Seiten je vierzehn Personen und eine an der Stirnseite. In jeder Ecke des Saales steht bewegungslos ein Mundschenk, der seinen Teil der Tafel mit Wein zu versorgen hat. Der rechteckige, gut zehn Meter lange Tisch quillt fast über von den vielen köstlich aussehenden Speisen.  Mit einer kurzen Handbewegung werden die drei dazu aufgefordert sich davon zu bedienen und an deren Geschmack zu laben. Kein Wort wechselt während des Mahles die Runde.

Stefan fällt auf, das wesentlich mehr Frauen am Tisch vertreten sind. Was ihm noch auffällt sind die spitzen Ohren, die frech zwischen den langen Haaren hervorlugen. Die neugierigen Blicke der Damen bleiben ihm noch unergründlich.

 

*

 

Telepathie !!!

Die Elfen verständigen sich durch telepathischen Kontakt! Schon beim ersten Zusammentreffen hatten sich fremde Gedanken in ihre Köpfe geschlichen und durch die Gehirnwindungen, an den kleinen grauen Zellen vorbei, bis hinter die Stirn vorgearbeitet. Seltsamerweise verstehen die drei Sinn und Wortlaut jedes Gedankens, obwohl ihre Gastgeber kein Wort deutsch sprechen und sie selbst kein Wissen über die elfische Sprache besitzen. (Anm. des Verfassers: Daraus läßt sich leicht die Frage ableiten, wie denkt ein Lebewesen. In der Muttersprache oder allgemeinverständlich?) Das es sich dabei um Gedankenübertragung handelt hatte sich ein jeder schon gedacht, die endgültige Bestätigung erhalten sie jedoch im Hier und Jetzt.

Es ist nicht anders als auf der Oberfläche auch. Alle denken durcheinander und versuchen eine Antwort auf die gedachten Fragen zu erhalten, während die Gäste redlich versuchen auf alles eine klare Erwiderung zu finden und nebenbei ebenfalls Antworten und Informationen zu sammeln.

Und nun, nach dem Ende des Bankettes erfahren sie die komplette Geschichte des mysteriösen Volkes aus den Gehirnwindungen der Schamanin.

*

 

Die überlieferte Geschichte des Elfenvolkes beginnt zum Ende des 5. Jahrhunderts nach Christi Geburt, als diese für kurze Zeit aus dem Dunkel der Geschichte ans Licht drängen. Es handelt sich um einen Stammessplitter der fränkischen Merowinger unter ihrem König Chlodwig, der sein Volk zu einer Macht unter den westeuropäischen Stämmen führt, die sie für die Geschichtsschreibung untilgbar macht.

Er ist der Begründer des Frankenreiches, der sich um 496/497 aus machtpolitischen Interessen zum römisch-katholischen Glauben bekennt und 498 die heilige Taufe vom Bischof Remigius von Reims empfängt. Ein Jahr später beginnt die Verfolgung der Elfen infolge der Intoleranz König Chlodwigs des arianischen Christentums gegenüber, und des Festhaltens ihres angestammten Glaubens. Die Stammesgruppe, die etwa tausend Mitglieder zählt, versucht um 501 den immer stärker werdenden Repressalien durch Flucht über die Reichsgrenze zu den benachbarten Sachsen zu entgehen. Im Sommer des gleichen Jahres überfallen die Truppen des Königs den Treck und reiben ihn fast vollständig auf. Dem nächtlichen Massaker entkommen nur achtundvierzig Leute, dreiunddreißig Frauen und fünfzehn Männer, die sich in eine nahegelegene, gut verborgene Höhle flüchten können, die ihre Kundschafter tagszuvor zufällig entdeckt hatten. Seitdem leben völlig autark von der Außenwelt etwa einhundert Elfen in der rießigen Höhle.

Die Grotte besitzt eine eigene, über die Jahrunderte hinweg stabile Biospähre, wie sie nirgendwo sonst zu finden ist. Auf Grund dessen haben sich hier einige Pflanzen- und Tierarten erhalten können, die auf der Oberfläche schon seit Jahrtausenden ausgestorben sind. Es gibt dort keine Jahreszeiten wie wir sie kennen, sondern nur sogenannte "Kalt- und Warmzeiten". Die Temperaturen schwanken zwischen +5° und +19°Celsius. Sobald die Tage kürzer werden und die hier beheimateten Zweibeiner Socken an ihre Füße ziehen müßen beginnt die Kaltperiode. Die Dämmerung, der Übergang vom Tag zur Nacht dauert in der Höhle nur einige wenige Minuten.

Die weiblichen Elfen können nur einmal in ihrem Leben schwanger werden und gebären dann auch nur ein einziges Kind. Ihre Pubertät beginnt im zarten Alter von nur elf Kaltperioden, in der sie von ihren eigenen Eltern in die Sexualität praktisch eingeführt werden. Der Vater verführt die Tochter, die Mutter den Sohn. Jeder liebt körperlich jeden, Elfen hetero, Elfinnen bi, aber alle Bewohner besitzen nur einen festen Lebenspartner, dem sie ein Leben lang "treu" sind. Die Elfen führen ein sehr lustbetontes Leben wegen der schwierigen, langwierigen Aufzucht des Nachwuchses in der kleinen Gruppe. Der Alterungsprozess bis zur maximalen Lebenserwartung von fünfzig Jahren, ist den Bewohnern nicht im geringsten anzusehen.

Aus den Schwierigkeiten bei der Fortpflanzung resultiert eine pädophile und inzestiöse Gesellschaft. Das Matriarchat, die Herrschaft der Frauen begründet sich auf die zahlenmäßige Überlegenheit zu Beginn der Besiedlung und der emotionalen, sowie geschlechtlichen Stärke der elfischen Frau. Es ist eine primitive Gesellschaft, mit einer ebenso primitiven Zeitrechnung, die nur Kalt- und Warmzeiten unterscheidet und danach ihre Felder bestellt.

Mit den Jahren in der Abgeschiedenheit verschwand der Arianismus immer mehr im Dunkel der Zeit und wandelt sich, durch die aufgezwungenen Lebensbedingungen über die Jahrhunderte, in eine heidnische Naturreligion in der die Magie eine Renaissance erlebt, die bis zum heutigen Tag anhält. Die Magie und der Naturschutz spielen in dieser schamanistischen Glaubensform die übergeordnete Rolle. Mutter Natur ist Gott, die Elfen nur ihre Diener. Die magiebeherrschende Schamanin besitzt die Stammesführerschaft und die Rolle der Glaubensbewahrerin zugleich. Ihr Totem ist Schlange. Als ein Zeichen der Ehrerbietung nimmt sie dessen Namen an.

Schlange ist ein sehr geheimnisvolles Totem, das seine wirkliche Macht nur sehr zögerlich an seine Gefolgsleute preisgibt. Erweißt sich ein Schüler jedoch als treu und seinem Totem verbunden wird er zu einem der mächtigsten Schamanen des Universums. Schlange ist die beste Ratgeberin die ein Magiebenutzer sich wünschen kann, die im Kampf die Sinne der Gegner verwirrt. Darauf bedacht die Umwelt nicht zu zerstören, entwickelt sie erstaunliche Fähigkeiten, die sie als wandlungsfähiges und täuschungsgeschicktes Wesen ausweist. Viele Ebenen des Schlangen-Schamanismus öffnen sich erst nach Jahren und Jahrzenten des intensiven Lernen und Studierens jeder Nuance dieses Totems. Illusions- und Tarnzauber gehören ebenso in ihr  Repertoire wie Kampf- und Regenerationszauber von Mensch und Natur. Ein weiterer, wichtiger Bestandteil Schlanges Macht ist die Kraft jedweden Naturgeist zu beschwören und in ihre Dienste zu zwingen.

<So leben wir nun seit ewigen Zeiten in dieser uns gegebenen eigenen Welt, weit abgeschieden von den Menschen und ihren Kämpfen. Bis zu dem Zeitpunkt der meinem Volk als Ende bestimmt ist.>

Schlanges fesselnde Erzählung endet in den frühen Morgenstunden, während sich ein Großteil der Bewohner schon im Schlaf für den bevorstehenden Tag rüstet.

 

*

 

Unausgeschlafen und mit vom Wein schwerem Schädel fallen die Freunde aus ihren Kojen, geweckt vom albernen Gekicher mehrerer Mädchen. Nach der Morgenhygiene nehmen sie ein liebevoll angerichtetes, ausgiebiges Frühstück zu sich. Die Jungs werden von den Damen, die sich als Ygerna, Uchdryd und Trwyth vorstellen, in jeder Hinsicht von vorne bis hinten bedient.

Schlange hatte die Mädchen angewiesen mit dem Besuch aus der anderen Welt einen kleinen Exkurs durch ihr eigenes Reich zu unternehmen und ihm die Schönheit der Höhle näherzubringen. Die kleine Gruppe ist nun auf einem Pfad unterwegs der sie auf Umwegen an den Rand des Sees bringt, den sie nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichen.

Im klaren Wasser tummeln sich vergnügt prustend und pudelnackt mehrere Dorfbewohner. Sie winken den Ankommenden ausgelassen zu sich doch zu ihnen ins kalte Wasser zu gesellen. Die elfischen Schönen sind sofort von dieser Idee begeistert, springen fröhlich aus den Gewändern und plantschen in null komma nix ebenfalls im See. Angesichts soviel weiblicher ungezwungener Nacktheit sind Bernd, Hainz und Stefan ein wenig irritiert und fühlen sich gar nicht wohl in ihrer Haut. Noch weniger als sie gewahr werden wie sich ein Pärchen nur wenige Meter entfernt ungeniert in die Büsche schlägt.

Octha, Maelgwn, Sgilti und ihre Begleiterinnen versuchen die ratlos am Ufer Stehenden mit Gesten und Gedanken ebenfalls aus den Klamotten und ins Nass zu locken.

<Ja Kinners, sollen wir so tun? Oder lieber doch nicht?!> Unentschlossen wie eh und je stellt Hainz die alles entscheidende Frage.

<Und ... und wenn die nun gar nicht wollen. Der Rest lyncht uns doch!>

Hübner kann sich wieder mal nur über seine Kumpels wundern. Er verdreht theatralisch die Augen und wendet sich dem Wasser zu. <Macht doch was ihr wollt. Ich gehe jetzt baden.> Der Bursche entledigt sich seiner Textilien und läuft lachend in den klaren See. Das Wasser ist doch um einiges kühler als er erwartet hatte. Langsam läuft ihm eine Gänsehaut über den Rücken und die Arme. Um nicht zu frieren taucht Bernd kompltt unter und schwimmt zu den sich vergnügt im Gewässer tummelnden Elfen. Als er dort prustend wieder auftaucht, sieht er gerade noch, wie seine beiden Freunde ebenfalls ins kühle Nass stürmen.

Die beiden Nachzügler werden zur Begrüßung gleich zünftig untergetaucht. Aus diesen Spielchen entwickeln sich weitere einander näherbringende Späße und Neckereien,  bis einer der Anwesenden den Vorschlag macht ein wenig zu schwimmen. Gemeinsam schwimmt die Gruppe zu einem mit üppigem Grün bewachsenen Eiland. Etwa 10 1,7 Meter vom Ufer entfernt geben die Elfinnen vor erschöpft zu sein und klammern sich an die Männer. Schon vorher waren sich die Geschlechter körperlich nahe gekommen, aber diese Hilfestellung stellt alles vorangegangene in den Schatten. Während die Herren der Schöpfung Wasser treten, umschlingt die holde Weiblichkeit ihre Objekte der Begierde mit den Schenkeln und küßt sie zärtlich. Fast unbemerkt baut sich eine gewisse Art von Spannung über den Köpfen der Pärchen auf. Mit einem Mal erfasst die jungen Leute eine kribbelnde Erregung die nach wenigen intensiven Küssen in ein bis dahin unbekanntes Verlangen ausufert. Die Liebenden versuchen schnellstmöglich an den Strand zu gelangen.

 

*

 

Die Tage und Nächte vergehen wie im Fluge. Die immer mindestens sechs Schönheiten zählende weibliche Gesellschaft kümmert sich aufreizend um die jungen Herren. Die Zeit ist mit opulenten Banketten, langen Spaziergängen, dauerhaften Eroberungen (von weiblicher Seite), wilden Liebesabenteuern, ekstatischen Nächten, erotischen Schwimmunterrichten, wollüstigen Orgien und überschwenglichen Festen mit uralten, folkloristischen Tänzen angefüllt. Schlange ist eine herausragende Gastgeberin die es gekonnt versteht ihren Gästen alle Annehmlichkeiten zu bereiten.

Der Teint der Damen wird indes immer rosiger, die Kleider immer gewagter, die holde Weiblichkeit immer aufregender und schöner. Die Gesichter der Lebensgefährten jedoch seit der Ankunft unserer Anti-Helden, immer länger und mürrischer, da diese immer weniger Beachtung finden und nicht mehr zum Zuge kommen. Bei den Herren der Schöpfung macht sich der erste Unmut breit, doch wagt es noch niemand lautstark gegen Schlanges Entscheidungen zu intervenieren.

 

*

 

Auf einem ihrer ausgiebigen Wanderungen waren sie bis an das entgegengesetzte Ende der Höhle vorgedrungen. Mit jedem weiteren Meter den sie zurücklegten, wurden ihre Begleiterinnen zusehends unruhiger und beobachteten nervös die Umgebung. Sie drängten ihre Gäste förmlich zur Umkehr. Angesichts diesen Verhaltens wurde die Neugier der drei Jungs geweckt und sie gingen langsam und vorsichtig weiter. Dieser Teil der Höhle war schlecht beleuchtet und Einzelheiten verschwammen vor dem unangepassten menschlichen Auge. Die Gruppe bewegte sich langsam aber stetig vorwärts als ein schriller Schrei die Stille durchschnitt. Noch ehe die Männer wußten was vor sich ging, waren die Elfinnen bereits um die soeben von Ygerna entdeckte halberweste Leiche versammelt und murmelten in ihrer Sprache miteinander.

Das Knochengerüst hat entfernte Ähnlichkeit mit dem menschlichen. Es ist etwa einhundertvierzig Zentimeter lang und wesentlich kräftiger gebaut. Die angewesten Fleischreste auf dem Skelett passen zu keinem der ihnen bekannten zweibeinigen Spezies. Auf dem Schädel klebt dichtes schwarzes Haar. Alle Hautpartien sind stark, fast pelzähnlich behaart.

 

*

 

Die Schamanin empfängt in ihrer Hütte die Gäste. Sie hat ihnen etwas mit zu teilen. Etwas, das mit dem Geschehen des Tages eng in Verbindung steht.

Nun, ... ihr habt die Leiche gesehen. Ihr werdet euch Gedanken darüber gemacht haben.

Ja, es gibt noch eine zweite intelligente Art in dieser Höhle: Schrate. Aber nicht seit alters her. Erst seit gut fünfzig Jahren. Seitdem ihr Menschen unsere Umwelt bis in den entlegensten Winkel erforscht. Es blieb nicht aus, daß vor euch schon andere Menschen hier waren und noch sind. Es sind jene, die versuchten uns zu hintergehen und aus der Höhle zu entkommen. Laßt euch die Leiche eine Warnung sein. Die Macht der Schlange ist größer als mancher an zu nehmen vermag.

 

 

 Copyright © 1997 Holger Kuhn Dietesheimer Str. 400 63073 Offenbach