LESEPROBE   

 

TROLLE  

Fingerbeiß

 

von

 

Holger Kuhn

 

 

Heute war wieder einer dieser frischen Morgen, wie sie hier oben im hohen Norden üblich sind. Ein Morgen, der einem mit seinem himmlischen Blau ins Gesicht grinste, während der Frost am Boden glitzerte, wie Myriaden winziger Diamantsplitter.

Gähnend und augenreibend schlurfte ich zum nahegelegenen Bach. Am Ufer kniete ich nieder und betrachtete einen Moment lang mein Spiegelbild. Meine Güte sah ich wieder wild und zerzaust aus. Mein Fell lag wirr und durcheinander von der letzten Nacht um meinen Körper. Die herrliche kastanienbraune, sonnenuntergangsrote Farbe war verschmutzt von Erdkrumen und Pflanzenfasern, die sich in den langen Haaren verfangen hatten und diese verfilzten. Ich sah schrecklich aus. So fand ich nie ein hübsches Mädchen. Freudlos grinste ich mich selbst an und entblößte dabei zwei Reihen makelloser, spitzer Reißzähne. Mürrisch tauchte ich die Hände in das klare Wasser und klatschte mir eine Ladung davon ins Gesicht. Davon wurde mein Aussehen auch nicht besser, aber immerhin war ich nun ein wenig wacher als zuvor. Dann spulte ich das allmorgendliche Kulturprogramm ab, das aus Nase bohren und ein wenig Zahnhygiene, also zweimal mit dem Finger über die Beißerchen wischen, bestand. Ich schlürfte noch ein, zwei Liter des köstlichen Nasses in mich hinein und latschte, mich reckend und streckend, zu meiner Behausung zurück.

Aber da fällt mir ein, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Fingerbeiß und ich bin ein Troll. Hallihallo ihr Lieben da draußen. Ihr werdet euch jetzt bestimmt fragen, was ein Troll so zu sagen hätte? Aber ein wenig Geduld, denn ich will euch eine Geschichte erzählen, wie sie nicht vielen Trollen hier in der Gegend wiederfährt.

Also, wo war ich stehen geblieben? Ach so, ja! Ich latschte mich reckend und streckend zurück zu meiner Unterkunft. Dabei bemerkte ich, daß es wieder einmal soweit war. Dieses Langmaul nach einem saftigen Hüftsteak formte sich tief unten in einem einsamen Winkel meines Magens und begann zu wachsen. Vor meinem geistigen Auge formte sich ein kleines Feuerchen, an dem ich saß und das brutzelnde Fleisch beobachtete. Die Erinnerung an das süßliche, Nuss artige Gusto überflutete meine Geschmacksknospen und steigerte das Verlangen noch weiter. Ausgerechnet heute war es wieder soweit. Wo ich doch wusste, daß im Umkreis von vielen, vielen tausend Schritten keine Menschenseele gesichtet worden war. Und das schon seit Monaten nicht mehr.

Mein Magen schmerzte vor Hunger und das Verlangen nach einem saftigen Brocken Fleisch brach sich richtig Bahn. Aber nicht  nach irgendeinem Stück Fleisch, nein, ein zartes Stück Menschenfleisch muss es dann schon sein. Wenn möglich aus der Hüfte, knapp über dem Steiß, da die Hüftsteaks am zartesten und saftigsten sind, wie ich finde.

Ich bin ein ganz angenehmer Zeitgenosse, behaupten zumindest meine Mit-Trolle, wenn mich nicht des Öfteren so ein Heißhunger nach Fleisch überkäme. Wenn dieses Verlangen hochkommt hält mich nichts mehr, dann muss ich los und es Stillen. Sonst bin ich ungenießbar und werde schnell aggressiv.

Nicht das ich der einzige Troll wäre, den dieses Verlangen in schöner Regelmäßigkeit plagt. Nein, diese Plage überfällt jeden Troll. Ob männlich oder weiblich, egal, es trifft sie alle. Vielleicht mieden die Menschen deshalb diese Gegend. Zumindest bildete ich mir das ein. Vielleicht aber, hatten wir sie alle schon verspeist und es vor lauter Langmäuligkeit gar nicht bemerkt. Wie dem auch sei, heute war wieder einmal ich an der Reihe.

Ich rückte den Kilt zurecht, schnappte meinen Jutebeutel und stiefelte los. Das heißt, ich machte mich auf die Suche nach einem genießbaren Menschen. Zu alt oder zu jung durfte meine Beute natürlich nicht sein. Am Besten schmecken die Steaks von den jungen Burschen oder den drallen Mädchen, die sich schon seit mehreren hundert Monden die Fleischsubstanz anzüchten. Zu fett ist auch nichts. Wenn ich welches ansetzen will, fange ich mir einen Elch. Und zu dürr auch nichts. Da bekommt der Braten dann nicht die richtige Dicke, um ihn gescheit über dem Feuer grillen zu können.

Am Liebsten trinke ich dazu ein leckeres Bier. Aber leider ist Bier hier in meiner Gegend ein sehr seltenes Gut, weshalb ich mich meist mit klarem Quellwasser begnüge. Es schmeckt sehr erfrischend und belässt jeder Art von Speise seinen urtümlichen Geschmack.

Aber ich schweife ab, wie ich gerade bemerke. Entschuldigt, bitte. Wo habe ich nur meinen Kopf? Ich schnappte also meinen Jutebeutel und machte mich auf den Weg.

...

 

Welche Abenteuer Fingerbeiß weiter erlebt, könnt Ihr in "Geheimnisvolle Geschichten" erschienen im Wunderwaldverlag nachlesen!!!

 

 

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