LESEPROBE

 

TROLLE  

 

Unfälle in der Taiga

 

von

 

Holger Kuhn

 

 

Die Büchse rollte vor meiner Eltern Hütte aus und ich erwürgte den Motor. Aus den handvoll Strohhäusern lugten neugierige Mittrolle. Der Lärm, den der Blechhaufen machte, hatte sie aus ihrem Mittagsschlaf geschreckt. Meine Mutter trat, sich streckend und gähnend, vor die Hütte und blinzelte verschlafen zu mir herüber. Sie trug einen laubgrünen Rock, der ihr fülliges Hinterteil betonte. Ihr mächtiger Busen wogte unbedeckt in der Sonne.

<Hallo Fingerbeiß! Was machst du in der Blechbüchse?>

<Hallo Mama.> begrüßte ich sie, während ich aus der Tür kletterte. <Darf ich dir Christen vorstellen.> 

Jetzt erst bemerkte sie meine Begleiterin. <Oh, gut daß du das Abendessen gleich mitgebracht hast. Die Vorratskammer ist fast leer. Ähm, Moment. Wie war das? Christen? Du kennst das Abendessen persönlich?>

<Nein, Mama, Christen ist nicht das Abendessen. Wir sind zusammen.> Ich half der Frau aus der Büchse. <Das ist Christen.> sagte ich zu meiner Mutter. Und dann an meine Begleitung gewandt: <Christen, vor dir steht meine Mutter Leckersupp.>

<Hallo Frau Leckersupp.> sagte sie lächelnd. <Darf ich sie berühren?>

Bevor die Trollin antworten konnte, war meine Angebetete auf sie zugetreten und tastete über ihre Schultern, fuhr ihren pelzigen Hals entlang und befühlte vorsichtig Mutters Gesicht.

Leckersupp starrte Christen einen Moment verwirrt an, bevor ein warmherziges Lächeln ihr breites Gesicht überzog. <Schädelspalter!> rief sie über die Schulter. <Komm‘ mal her!>

Einige Augenblicke später schleppte sich mein Vater, ein fassförmiger, schwarzer Troll, ins Freie, der sich schwerfällig auf einer Bank neben dem Eingang niederließ. Auf dem Pelz trug er nur einen Lendenschurz aus Fellen, der ihm bis knapp an die Knie reichte. <Was ist denn Leckersupp? Was schreist du denn so?>

<Unser Sohn hat endlich eine Frau gefunden.>

<Was? Wie? Sohn, du hast endlich eine Frau gefunden? Das ist ja toll.> Vater blickte sich suchend um. <Wo ist sie denn?>

<Aber Papa, sie steht doch direkt vor dir.>

Langsam ging Christen auf den alten Troll zu. Sie fühlte nach seinen Schultern, an denen sie sich festhielt. Auf den Zehenspitzen stehend hauchte sie Schädelspalter eine Kuss auf die haarige Wange.

<Das ist das erste Mal, das mich das Abendessen küsst.> brummte er. <Und du bist sicher, daß das nicht das Abendessen ist? Auch nicht das Mittagessen?>

<Ja, Papa. Christen hat mir Autofahren beigebracht. Das Abendessen liegt auf dem Dach des Wagens.>

<Sohn, wo bleibt nur deine Erziehung.> Kritisch musterte Schädelspalter die Menschin vor sich, dann schüttelte er mißbilligend den massigen Schädel. <Habe ich dir nicht hundertmal eingebleut, daß ein Troll nicht mit dem Essen spielt. Futter ist Futter! Da ändert auch die Tatsache nichts daran, daß es zwei Möpse hat und den Schwiegervater knutscht. Basta!>

<Aber Papa, du wolltest doch immer, daß ich mir eine Frau suche. Jetzt habe ich eine, und es ist dir auch nicht recht.> maulte ich.

<Aber doch keine Nackte, Sohn. Die taugen nur als Braten. Schau sie dir doch an. Nur Haut und Knochen.> Schädelspalter patschte Leckersupp genüßlich auf den ausladenden Allerwertesten. <So muss eine Frau gebaut sein.>

Mutters Ohrspitzen leuchteten rot unter den Haarbüscheln. <Aber Schädelspalter, dein Sohn hat recht. Du hast nie gesagt, das er keine Nackte mit nach Hause bringen soll.>

Der Troll brummelte etwas unverständliches, das sich nach „Weiber“ anhörte, stemmte sich von der Bank hoch und verschwand mit Mutter im Arm wieder in der Hütte.

<Mir scheint, ich muss bei deinem Vater noch ein wenig Überzeugungsarbeit leisten.> lachte Christen.

Meine Begleiterin hakte sich bei mir unter und wir folgten meinen Eltern in die Behausung. Aus dem Hintergrund wehte leises Trompeten über das Land.

 

Einige Minuten später klang das Trompeten bereits um einiges lauter. Neugierig blickte ich aus der Hüttentür und sah ein Mammut auf die kleine Siedlung zuschwanken, wobei es in unregelmäßigen Abständen einen lauten Trompetenstoß von sich gab.

<Da ist wieder das Mammut.> sagte ich verdutzt. <Es scheint direkt hierher zu kommen.>

Kurz bevor es die Hütten erreichte, blieb es stehen und trötete erneut, wobei es den mächtigen Kopf schüttelte.

Mama trat zu mir vor die Hütte. <Was es wohl will? So nah an die Hütten kam bisher noch keines der Zottelviecher.>

Während sie sprach, drehte sich das Tier um und schritt einige Meter davon, bevor es erneut stehen blieb und zu uns zurückschaute. Ungeduldig scharrte es mit einem der Vorderfüße, dabei trötete es leise. 

<Irgendwas stimmt nicht.> meinte Christen, die sich zu uns gesellte. <In seinem Tröten klingt ein trauernder Unterton mit. Was macht es gerade?>

Skeptisch sah ich auf die Frau herab. <Es läuft wieder ein paar Schritte davon, schüttelt den Kopf und blickt zu uns zurück. Was meinst du, hat das zu bedeuten?>

<Wir sollen ihm folgen. Es will uns etwas zeigen.> vermutete Christen.

Mutter trat einige Schritte vor und sah sich nach den Nachbarn um, die mittlerweile ebenfalls vor ihren Hütten standen und sich lautstark unterhielten. Einige zeigten mit dem Finger auf das Tier, andere hielten Speere in den Händen, die sie über den Köpfen schwenkten. Die meisten jedoch standen einfach nur herum und taten lautstark ihre Meinung kund.

<Mama, sag Paps bescheid, ich folge mit Christen dem Mammut. Mal sehen, wo es uns hinführt.> Kurzerhand fasste ich den Entschluss, dem Wunsch des Tieres zu entsprechen und ging, Christen führend, hinter dem Koloss her.

 

*

   

...

 

Welche Abenteuer Fingerbeiß weiter erlebt, erfahrt Ihr möglicherweise demnächst in einem Buch erschienen im Wunderwaldverlag.

 

  

Copyright © Januar 2004 Holger Kuhn, Dietesheimer Str. 400, 63073 Offenbach